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Rudi Rhode
Mona Sabine Meis
ca. 280 Seiten,
mit 125 Zeichnungen und Fotos
€ [D] 19,00, sFr 32,90, € [A] € 19,60
ISBN 3-0350-0027-1;
Format 14,4 x 21 cm,
WG 1531
Leseprobe:
"Echt cool, ey!"
Coolness, Körperspannung, Dominanz und Konflikt
Beginnen wir unsere Betrachtungen der verschiedensten Aspekte dominanten Verhaltens mit einem Beispiel, das viele von Ihnen auf den ersten Blick vermutlich nicht mit diesem Thema in Verbindung bringen: Coolness. Was hat die inszenierte Lockerheit mit Dominanz zu tun? Mehr als Sie glauben, wie unser kleiner Streifzug durch die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen von Coolness und Lockerheit zeigen wird. Richten wir unser Augenmerk daher zuerst auf die Personen, die wir direkt mit dem Wort Coolness assoziieren: männliche Jugendliche.
Die Zeiten der hautengen Jeans, in die man sich nur mit einem relativ hohen Kraftaufwand hineinzwängen, aus denen man sich aber kaum wieder herausschälen konnte, sind (vorübergehend?) vorbei. Seit einigen Jahren hängt der Schritt der ausgebeulten Hosen in den Kniekehlen der Jugendlichen. Die Bewegungsmuster haben sich der Kleidung angepaßt – oder umgekehrt: Mit lässigen, entspannten und beinah tappsigen Bewegungen schlendern die meist männlichen Jugendlichen durch die Welt. Die Oberkörper wiegen so arg hin und her, daß es fast den Anschein hat, die Jugendlichen gerieten bei der nächsten Biegung aus dem Gleichgewicht. Besonders in schulischen Zusammenhängen schlägt die Entspanntheit und Coolness gar um in phlegmatische Spannungslosigkeit. Nichts, aber auch gar nichts haben diese coolen Bewegungsmuster gemeinsam mit der angespannten Haltung machistischer Muskelprotze aus den »Muckiebuden«.
Doch so schlürfend, tappsend und scheinbar spannungslos diese Jugendlichen auch daherkommen mögen – hinter ihren coolen Bewegungsmustern steckt ein ausgeklügeltes System der Darstellung von männlicher Überlegenheit. Die Inszenierung von Coolness verdient eine nähere Betrachtung und Analyse – zumal sie mit Variationen auch in der »uncoolen« Welt von uns Erwachsenen auftaucht. Aber dazu später.
Schauen wir uns erst einmal die Welt der coolen Jungs an, und betreten wir ein Klassenzimmer. Ein Schüler – nennen wir ihn Sascha – flezt sich im Unterricht entspannt auf seinen Stuhl. Mit seinem Allerwertesten droht er fast von der Stuhlkante zu rutschen – wäre da nicht der leere Stuhl seiner kranken Mitschülerin, auf dem sich Sascha mit seinen Füßen abstützt. Von einer schlafenden Stellung in einem Bett unterscheidet sich diese Sitzhaltung nur insoweit, als Sascha noch knapp über sein Pult zur Tafel blicken kann. Dort kann er mit dem Rest seiner Aufmerksamkeit schemenhaft einen Lehrer wahrnehmen, der sich abmüht, einen spannenden Unterricht abzuliefern.
Sascha sendet mit seiner coolen Lockerheit – gewollt oder ungewollt – dem Lehrer und seinen Mitschülern die heimliche Botschaft: »An meiner Entspannung könnt ihr sehen, daß ich den Unterricht nicht spannend finde.« Oder: »An meiner Entspannung ist ablesbar, daß ich das hier locker nehme.«
Versetzen Sie sich gedanklich in die Position des Lehrers, und Sie werden spüren, daß Ihnen angesichts der inszenierten Lässigkeit von Sascha »der Kamm schwillt«. Vermutlich werden Sie äußern, daß Sie Saschas Verhalten als unhöflich empfinden. Aber Unhöflichkeit ist ein recht schwammiger Begriff, wenn es gilt, körpersprachliche Verhaltensweisen zu analysieren und auf ihren provozierenden Inhalt zu untersuchen. Erst wenn wir genauer hinschauen und einige grundsätzliche Überlegungen über den Zusammenhang zwischen Körperspannung und Hierarchie hinzuziehen, können wir ermessen, warum uns die Coolness unserer Mitmenschen so oft auf die Palme bringt. Zur besseren Erläuterung ziehen wir ein Beispiel aus einem ganz anderen – scheinbar uncoolen – Bereich hinzu: Die Chefetage eines Unternehmens.
Der Thron
Ein Angestellter wird von seiner Chefin zwecks Abmahnung in ihr Büro bestellt. Zum verabredeten Termin steht er vor ihrer Tür. Er klopft an, wird hereingebeten und betritt ihr Dienstzimmer. Die Chefin fordert den Angestellten auf, näher zu treten. Mit ein paar Schritten geht er zum Schreibtisch der Vorgesetzten und bleibt, da er nicht zum Platznehmen aufgefordert wurde, hinter dem dort aufgestellten Stuhl stehen. Die Chefin, die sich bisher nicht von ihrem Stuhl erhoben hat, beginnt mit ihrer verbalen Abmahnung. Während der gesamten Strafpredigt bleibt sie sitzen, während ihr Angestellter die Standpauke hinter dem Stuhl stehend über sich ergehen lassen muß.
Dieses Szenario scheint alle Regeln über den Zusammenhang von Größe und Macht auf den Kopf zu stellen: Die Chefin macht sich nicht etwa größer, um ihren Angestellten zu beeindrucken und zu verängstigen, sondern sie bleibt sitzen und wirkt dadurch kleiner als ihr stehender Mitarbeiter. Dabei müßte sie doch eigentlich ihre Überlegenheit dadurch kommunizieren, daß sie ihren Angestellten aus einer überragenden Position heraus »abkanzelt«.
Um diesen scheinbaren Widerspruch zu erklären, müssen wir die Funktion eines Throns in die Betrachtung von Größe und Macht einbeziehen: Weltliche wie kirchliche Potentaten haben sich seiner bedient, um dem Untergebenen ihre Macht zu dokumentieren. Ein Thron erlaubt dem betreffenden Machthaber eine komfortable und entspannte Sitzposition. Und seit Urzeiten gilt: Je höher der soziale Status einer Person, desto entspannter (= luxuriöser) lebt sie. Bequemlichkeit, Luxus und die damit verbundene Entspannung sind seit Jahrtausenden Ausdruck eines hohen sozialen Status.
Kurz und bündig:
Luxus und die dadurch bedingte Entspannung dokumentieren Macht.
Diese Gleichung gilt auch heute noch: Die gepolsterten Sitze in den Logen der Theater und den Erste-Klasse-Abteilen der Bahn erinnern an die Throne der Potentaten – sie bieten höchsten Komfort und ermöglichen den Sitzenden eine entspannte Haltung. Werfen wir einen Blick in die Büros der Mächtigen: Die »hohen Tiere« sitzen auf rückenschonenden und großen Sesseln. Sie fahren Luxus-Limousinen mit bequemen und beheizbaren Sitzen, und wenn sie in einen Flieger steigen, dann nehmen sie selbstverständlich in der bequemen Business-Class Platz.
Körperspannung und Dominanz
Auf die Ebene der Körpersprache übertragen, bedeutet diese Feststellung, daß Entspannung einen hohen Status dokumentiert: Eine entspannte und bequeme Körperhaltung setzt das Gesetz Größe = Macht außer Kraft. Die Chefin aus unserem Beispiel muß nicht aufstehen, um ihren kommunikativen Status gegenüber dem Angestellten zu erhöhen. Im Gegenteil: Gerade dadurch, daß sie in der bequemen Sitzhaltung bleibt und den Angestellten in der unbequemen Stehposition verharren läßt, dokumentiert sie ihre überlegene Stellung. Die Botschaft dieser körpersprachlichen Signale lautet: »An meiner lockeren Haltung erkennen Sie meinen überlegenen Status. Ich bleibe in der entspannten Position, während ich Sie dazu veranlasse, stramm zu stehen.« Die Dominanz der Chefin äußert sich durch ihre entspannten Haltungen und Bewegungen, die ihr das Sitzen ermöglicht.
Lockere Entspanntheit signalisiert Gelassenheit und Überlegenheit.
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen Biologen, die das soziale Verhalten von Primaten untersucht haben. Auch dort signalisieren die ranghöchsten Tiere ihre dominante Position mit entspannten Bewegungen und Haltungen. Die rangniedrigsten Tiere der Gruppe dagegen weisen im Kontakt mit ranghöheren Tieren die höchste Körperspannung auf – sie befinden sich in ständiger »Hab-acht-Stellung«. In diesem Ausdruck ist das Wort »Achtung« enthalten – also die Wachsamkeit gegenüber einer Gefahrenquelle.
Untersuchungen in Hierarchien bei Menschen haben ergeben, daß in kommunikativen Situationen die statushöheren Personen körpersprachlich entspannter sind als die rangniedrigeren. Die Begründung: Ranghöhere fühlen sich im Umgang mit rangniedrigeren Menschen sicherer, als sich diese im Kontakt mit ihren Vorgesetzten fühlen. Auch in Gruppen von formal gleichgestellten Personen konnte nachgewiesen werden, daß die jeweiligen Wortführer sich lockerer (= angstfreier) geben als diejenigen Gruppenmitglieder, die sich an ihnen orientieren. Egal, ob in einer informellen oder formalen Hierarchie:
Wer das Sagen hat, weist einen höheren Grad körpersprachlicher Entspanntheit auf als diejenigen, die »hörig«sind.
Besonders gut sichtbar wird der Zusammenhang zwischen kommunikativem Status und körperlicher Spannung bei der hierarchisch durchstrukturierten Armee: Während die Rekruten mit einer extrem angespannten Exerzierhaltung teilweise über lange Zeiträume »stramm stehen« müssen, können die Offiziere die Abnahme einer Parade mit einer relativ entspannten Körperhaltung vornehmen. Im Militär gilt die Regel: Je höher der Dienstgrad eines Soldaten, desto kürzer ist die Zeit, die dieser in einer unbequemen und angespannten Haltung verbringen muß. Umgekehrt hat ein rangniedriger Soldat in kommunikativen Situationen mit einem ranghöheren Soldat eine relativ angespannte Haltung einzunehmen. Am Grad der Körperspannung läßt sich der jeweilige Dienstgrad eines Soldaten erkennen. Ein General muß bestenfalls zu einem kurzen Gruß eine Andeutung von strammer Haltung annehmen.
Auch in anderen Zusammenhängen lassen sich diese Prinzipien der körperlichen Spannung und Entspannung in Abhängigkeit vom sozialen bzw. kommunikativen Status beobachten:
- In einer Dienstbesprechung darf sich zuerst der Vorgesetzte den obersten Knopf öffnen, die Krawatte lockern oder das Jackett ausziehen, um es sich bequem zu machen.
- Ein hochrangiger Chef hat in seinem Büro zwei Sitzgruppen: seinen Schreibtisch mit zwei Stühlen und eine bequeme Sitzgruppe um einen Tisch. Hochrangige Gäste werden als Zeichen der Anerkennung ihrer herausragenden Position in die bequemeren Sessel gebeten.
- Männermode ermöglicht ihren Trägern in der Regel ein sichereres und bequemeres Auftreten als Damenmode den Frauen. Korsetts, Röcke oder auch Stöckelschuhe schränken die Bewegungsfreiheit ein und erzwingen unbequeme und damit angespannte Haltungen und Bewegungen.
- Weibliche Körperhaltungen, die als graziös oder anmutig gelten und somit zur Attraktivität beitragen sollen, sind oft unbequem. Körperhaltungen, die als »männlich« gelten, zeichnen sich dagegen durch eine relative Entspanntheit aus.
Immer geschmeidig bleiben …
Kehren wir zurück in Saschas Klassenzimmer. Er und seine Kumpels haben – vermutlich intuitiv – den Zusammenhang zwischen Coolness und der Darstellung von männlicher Dominanz verstanden: Je lockerer und entspannter ihre Bewegungen und Haltungen sind, desto höher ist der kommunikative Status, der mit ihrer Coolness dokumentiert werden soll. In der Jugendsprache kursiert ein neuer Ausdruck, der die alten Sprüche »Entspann dich, Alter« oder »Bleib locker« ablöst: »Bleib geschmeidig!« Geschmeidige Bewegungen setzen einen entspannten Körper voraus. Ein entspannter Körper wiederum ist Ausdruck einer angstfreien und souveränen inneren Haltung.
Eine zur Schau gestellte Lockerheit soll maskuline Überlegenheit symbolisieren – entspannte Coolness gilt als Ausdruck von Dominanz.
Kein Wunder also, daß sich der Lehrer durch die »Flezhaltung« von Sascha provoziert fühlt, denn schließlich benötigt er selbst eine relative Angespanntheit, um seinen interessanten Stoff zu vermitteln. Körpersprachlich ausgedrückt sitzt Sascha entspannt auf einem Thron, während der Lehrer sich stehend abmüht, einen spannenden Unterricht durchzuführen. Die eigentliche Provokation besteht also für den Lehrer darin, daß sich der Schüler mit seiner Lockerheit statusmäßig über ihn – den eigentlichen Chef – erhebt. Die Hierarchie ist körpersprachlich auf den Kopf gestellt. Der Schüler präsentiert sich gegenüber dem Lehrer in einer dominanteren Körpersprache.
Folgerichtig fordert der Lehrer seinen Schüler auf, sich ordentlich hinzusetzen. Dieser erwidert: »Was wollen Sie denn? Ich sitz doch ordentlich. Hauptsache, ich passe auf. Der Rest sollte Ihnen doch wohl egal sein!«Und da er mit dieser Erwiderung zunächst das Oberwasser in dem Konflikt behält, bleiben seine Füße auf dem Stuhl liegen. Die absehbare Reaktion des Lehrers läßt nicht lange auf sich warten: Er fährt aus der Haut und brüllt seinen Schüler an, doch endlich »seine dreckigen Quanten vom Stuhl zu nehmen«.
Sascha reagiert: Mit einem müden Lächeln stellt er provozierend langsam und betont lässig die Füße auf den Boden. Seine scheinbare Niederlage in dem Konflikt mit dem Lehrer kann er unter dem Strich als Sieg verbuchen, denn vor seinen Mitschülern wird er in der anschließenden Pause prahlen: »Habt ihr gesehen, wie ich den Pauker auf 180 gebracht habe? Der ist hochgegangen wie eine Rakete. Der hatte richtig Schiß vor mir!« Die Explosion des Lehrers wird von allen Beteiligten als Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst wahrgenommen.
Und mit ihrer Wahrnehmung des hilflosen Lehrers liegen die Schülerinnen und Schüler gar nicht so falsch. Wir kennen den Ausdruck, daß jemand sehr verbissen (= angespannt) sei. Auch diesen Körperzustand belegen wir mit negativen Assoziationen: Aus Angst vor Mißerfolg und Scheitern mobilisieren verbissene Menschen ihre gesamte Willenskraft und Energie, um Dinge zu erledigen, die souveränen Menschen »locker von der Hand gehen«. Selbstzweifel führen zur Anspannung, deshalb werden Verbissenheit und Angespanntheit als Ausdruck von Angst interpretiert.
Generell gilt: Jede Form von Unsicherheit und Angst führt zur Aktivierung des Körpers und damit zur Anspannung der Muskeln. Der Körper bereitet sich angesichts der drohenden Gefahr auf Angriff oder Flucht vor. Wir kennen den Ausdruck »starr vor Angst«: Die Anspannung kann in extremen Angstsituationen so groß sein, daß sie zur Muskelstarre und damit zur Unbeweglichkeit führt.
Wer sich locker und entspannt gibt, wirkt angstfrei und somit souverän.
Mit anderen Worten: Der lockere und coole Sascha ist – körpersprachlich betrachtet – dem verbissenen und explodierenden Lehrer überlegen. Sascha ist der heimliche Chef im Ring. Seine coole Gelassenheit macht ihn zum eigentlichen Sieger in dem Streit.
Auch der Lehrer hat eine ähnliche Wahrnehmung wie seine Schülerinnen und Schüler. Im Lehrerzimmer berichtet er seinen Kolleginnen und Kollegen: »Sascha hat mich mal wieder zur Weißglut gebracht.« Damit gibt er indirekt zu verstehen, daß sein Schüler die Führung in dem Konflikt inne hatte und es geschafft hat, ihn mit seiner Wut vor den Klassenkameraden vorzuführen.
Dieses schulische Beispiel verdeutlicht: Eine verbissen kämpfende Person benutzt zwar scheinbare körpersprachliche Signale der Stärke (Lautstärke, Aufrichtung, aggressive Gestik etc.), fühlt sich aber innerlich eigentlich zu klein, um im Konflikt bestehen zu können. Angst vor der drohenden Niederlage führt zur Anspannung des Körpers und zur Inszenierung von scheinbarer Stärke.
Eine aus der Haut fahrende Person wirkt angespannt und hilflos. Sie kommuniziert ihrem Kontrahenten Angst statt Selbstgewißheit – Schwäche statt Stärke.
In der Ruhe liegt die Kraft
Wie hätte der Lehrer in diesem Konflikt mit seinem Schüler ohne Status- und Autoritätsverlust agieren können? Wie kann man auf einen coolen und betont locker agierenden Jugendlichen reagieren, ohne durch allzu große Angespanntheit in die unterlegene Position zu geraten? Die Antwort kann nur lauten: Durch eine relativ ruhige, aber zugleich selbstsichere Vorgehensweise:
»Sascha, setz dich bitte aufrecht hin.«
»Wieso das denn, ich sitz doch richtig. Hauptsache ich passe auf, oder?«
»Setz dich bitte richtig hin, du kennst die Regel.«
»Pfff. Sie können mir gar nichts.«
»Klare Regel. Also bitte.«
»Ey, was soll das? Bleiben Sie mal locker.«
»Setz dich bitte aufrecht hin!« (Feste Stimme. Der Lehrer hält den Blickkontakt und bleibt präsent.)
»Nö, seh ich doch gar nicht ein.«
»Du setzt dich aufrecht hin!« (Feste Stimme.)
»Ja, ist ja schon gut.« (Der Schüler verändert geringfügig seine Position.)
»Aufrecht bitte.«
»Boh ey, mach ich doch schon.« (Der Schüler zieht sich mühsam und betont provokativ hoch.)
»Gut, und den zweiten Stuhl schiebst du bitte weg.«
»Ja, ja. Was ist denn heute mit Ihnen los?«
Der Lehrer hat seinen Status in dem Konflikt allein dadurch halten können, daß er unbeirrbar, ruhig und fest auf seinem Anspruch bestanden hat, daß sich Sascha an die vereinbarte Regel hält. Die Kraft des Lehrers beruhte weniger darauf, daß er geschickt verbal argumentiert hat, als vielmehr auf seiner nonverbalen Ausstrahlung. Mit seinem gehaltenen Blick hat er dem Schüler Entschlossenheit dokumentiert. Durch seine Präsenz hat er kommuniziert, daß er sich dem Konflikt angstfrei stellt. Mit seiner Beharrlichkeit hat der Lehrer seine innere Stärke unterstrichen, und mit seiner relativen Entspanntheit hat er dem Schüler seine Angstfreiheit gezeigt. Im Gegensatz zum Beispiel oben, in dem der Lehrer explodiert ist und damit angesicht seines coolen Schülers an Status verloren hat, hat er sich hier durch die betont lockere Art von Sascha nicht verunsichern lassen. Mit Hilfe der Strategie der nicht eskalierenden Beharrlichkeit ist es dem Lehrer gelungen, die Coolness seines Schülers ins Leere laufen zu lassen.
Für Außenstehende mag es befremdlich wirken, daß sich der Lehrer auf die Provokationen seines Schülers in keiner Weise eingelassen hat. Und doch hat er genau richtig gehandelt. Denn mit jeder Reaktion darauf wäre er dem Schüler auf den Leim gegangen.
Das bedeutet: Auf eine inszenierte Lockerheit kann man erfolgreich nur mit relativer Entspannheit reagieren.
Einzig die ruhige Selbstgewißheit läßt die Waffe der Coolness stumpf werden.
In der Praxis leichter gesagt als getan. Voraussetzung für eine ruhige Vorgehensweise ist emotionale Distanz. Und nur das simultane Durchschauen der Strategie der Coolness ermöglicht diese notwendige Distanz. Daher treten Sie das nächste Mal, wenn Sie mit der Waffe der inszenierten Lockerheit konfrontiert sind, gedanklich einen Schritt zur Seite, und sagen Sie sich selbst: »Mein Kontrahent will mich mit seiner Coolness auf die Palme bringen. Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Auf seine inszenierte Lockerheit falle ich nicht rein.« Vertrauen Sie nicht auf die Kraft Ihrer Argumente, denn für die ist Ihr Gegenüber überhaupt nicht zugänglich. Vertrauen Sie auf Ihr ruhiges und selbstsicheres Auftreten.
Wir sollten also eine zur Schau gestellte Lockerheit und Coolness deutlich unterscheiden vom Zustand wirklicher Gelassenheit und Entspanntheit in einem Konflikt. Echte Entspanntheit ist keine Waffe, die den Kontrahenten verletzen und schwächen soll, sondern vielmehr authentischer Ausdruck einer inneren Haltung von Angstlosigkeit und Souveränität, bei gleichzeitiger Achtung dem Konfliktpartner gegenüber.
Eine authentische Entspanntheit im Konflikt ist im Gegensatz zur inszenierten Lockerheit für den Konfliktpartner weder herabsetzend noch verletzend.