Angriff ist die schlechteste Verteidigung

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ca. 190 Seiten, kort.
€ [D] 15,00
Kösel-Verlag, München
Rudi Rhode, Mona Sabine Meis (Autoren)
2006


Leseprobe:

 

Phase drei: Konsequenzebene

 

Ein Schiedsrichter hat es leicht: Wenn er einen schwer foulenden Spieler des Platzes verweist, dann entledigt er sich mit der roten Karte aller weiteren Probleme: Der Spieler ist in der Kabine – und damit basta! Mit dem betreffenden Spieler mag sich dessen Trainer oder der Spielausschuss herumärgern, nicht jedoch der Unterparteiische selbst.

Doch leider ist die Welt in unseren pädagogischen Zusammenhängen etwas komplizierter als auf einem Fußballplatz: Eine rote Karte, die wir einem Kind oder Jugendlichen nach dem Scheitern der ersten beiden Konfliktphasen zeigen, ist für uns Erwachsenen nicht zum Nulltarif zu haben. Einmal verhängte Konsequenzen verursachen nicht nur bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen enorme Kosten, sondern auch bei: Wir müssen Zeit und Energie investieren, um uns angemessene Konsequenzen auszudenken. Auch müssen wir deren Umsetzung kontrollieren und begleiten. Und in der Regel bedeutet die Verhängung von Konsequenzen – anders als auf dem Fußballplatz - eine Zuspitzung von Konflikten, die sich auch auf die Beziehungsebene aller am Prozess beteiligten Personen auswirken kann. Das bedeutet, dass wir unter Umständen nachfolgende Konfliktgespräche führen müssen, um die Beziehungsebene zu klären und um Hilfestellungen zu geben, wie gemeinsam aus der Eskalationsschraube von Regelverstoß und Konsequenz ausgestiegen werden kann. Um diese „Kollateralschäden“ zu vermeiden, haben wir uns in den letzten Kapiteln ausführlich mit der Bewältigung von Konflikten diesseits der Konsequenzebene beschäftigt.

Und dennoch ist klar, dass es immer wieder Situationen geben wird, in denen wir in den sauren Apfel der Konsequenz greifen müssen, weil sich unser Kontrahent trotz Phase 1 und 2 der Konfliktbewältigung dafür entscheidet, die Regel fortgesetzt oder wiederholt zu missachten.

Unterstellen wir also, dass sich Marvin in den ersten beiden Konfliktphasen beharrlich weigert, seine Tasche zu öffnen und den Inhalt der Flasche zu offenbaren. Folgerichtig zeigt der Sozialarbeiter dem Jugendlichen die rote Karte: Er wechselt in die dritte Phase des Konflikts und geht auf die Konsequenzebene:

( „...“ )
„Marvin, du zeigst mir die Flasche.“
„Versuchen Sie doch mal, an die Flasche ranzukommen. Da bin ich mal gespannt.“
„Du bleibst bei deiner Weigerung, mir die Flasche zu zeigen?“
„Das sehen Sie doch.“
„Dann bekommst du für heute Hausverbot und verlässt sofort die Einrichtung.“
„Nein, sehe ich doch gar nicht ein.“
„Marvin, du gehst.“
„Sie können mir gar nichts.“
„Du verlässt die Einrichtung.“
„Nein!“
„Das heißt, du weigerst dich zu gehen. Sehe ich das richtig.“
„Pfff“
„Okay. Dann sage ich dir klipp und klar, worum es hier geht. Punkt eins: Du trinkst heimlich aus einer Flasche, in der wahrscheinlich Alkohol ist. Das ist der kleinere Regelverstoß. Punkt zwei: Du widersetzt dich meiner wiederholten Aufforderung, die Flasche zu zeigen und die Einrichtung zu verlassen. Das ist der massivere Regelverstoß. Denn hier in der Einrichtung ist ganz eindeutig geregelt, dass ihr unseren Anweisungen zu folgen habt. Das heißt im Klartext, du verstößt gegen zwei Regeln: Erstens „Alkoholverbot“, zweitens „Anweisungen der Sozialarbeiter befolgen.“
„Na und.“
„Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Du verlässt sofort die Einrichtung, dann kannst du morgen wiederkommen. Solltest du bleiben, dann hole ich die Polizei und du bekommst 2 Monate Hausverbot. Überleg es dir gut. Es ist Deine Entscheidung.“
„Zwei Monate, wieso das denn? Nur weil ich dir die Flasche nicht zeige?“
„Nicht wegen der Flasche, sondern wegen deiner mehrfachen Weigerung, meinen Anweisungen zu folgen. Schluss der Diskussion: Wie ist deine Entscheidung? Zwei Monate Hausverbot oder morgen wiederkommen?“
„Aber ich habe doch gar nichts gemacht..“
„Solltest du nicht sofort gehen, werte ich das als deine Entscheidung, die zwei Monate Hausverbot zu wählen.“
„Was heißt denn hier Entscheidung ...  Das ist Erpressung!“
„Wie entscheidest du dich?“
„Ja, ich gehe ja schon. Mein Gott, seid ihr drauf.“

Der Sozialarbeiter geht in der Auseinandersetzung um den Regelverstoß sehr systematisch vor: Zum Abschluss der zweiten Phase der kontrolliert-eskalierenden Beharrlichkeit fragt er den Jugendlichen ein letztes Mal, ob er tatsächlich bei seiner Weigerung bleiben will, die Flasche zu zeigen. Nach dessen Bestätigung, die Flasche nicht zu zeigen, erteilt der Sozialarbeiter dem Jugendlichen für den besagten Abend Hausverbot gemäß der in der Einrichtung festgelegten Konsequenz: „Wer Alkohol trinkt, hat die Einrichtung sofort zu verlassen und bekommt für den betreffenden Abend Hausverbot.“ Wer sich beharrlich weigert, eine Regel zu beachten, begeht einen doppelten Regelverstoß.  

 Nach der Weigerung des Jugendlichen, die Einrichtung zu verlassen, konfrontiert der Sozialarbeiter den Jugendlichen mit dem doppelten Regelverstoß. Erstens: Verstoß gegen die Regel des Alkoholverbots. Zweitens: Verstoß gegen die Regel, den Anweisungen der Sozialarbeiter Folge zu leisten.  Durch diese Konfrontation mit seinen Vergehen wird Marvin das komplette Konfliktausmaß verdeutlicht.

Der Sozialarbeiter zeigt Marvin anschließend zwei Verhaltensoptionen auf und legt ihm auch die möglichen Folgen seiner jeweiligen Entscheidung dar: Entweder Marvin verlässt freiwillig und sofort die Einrichtung, oder er bekommt 2 Monate Hausverbot. Diese Aufzählung dient nicht nur der Aufklärung des Jugendlichen darüber, was seine Möglichkeiten und deren Konsequenzen sind, sondern sie verfolgt einen weiteren Zweck: Der Sozialarbeiter kommuniziert seinem Kontrahenten die versteckte Botschaft: „Ich bleibe der Chef im Ring, denn ICH bin es, der dir zwei Verhaltensoptionen vorgibt.“ Durch diese Vorgehensweise bleibt der Sozialarbeiter in der Führung: Egal, wie sich Marvin entscheiden wird, er handelt im Rahmen dessen, was ihm vom Sozialarbeiter vorgegeben wurde. Durch dieses souveräne Vorgehen kann keine von Marvins´s Entscheidungen – auch nicht sein Verbleib in der Einrichtung – zum Autoritätsverlust des Sozialarbeiters führen. 

Jetzt wird deutlich, warum es dem Sozialarbeiter möglich war, in den ersten beiden Phasen des Konflikts relativ gelassen zu agieren: Er wusste, dass mit den wirksamen Konsequenzen ein Netz unter sich gespannt ist, das den freien Fall auf den harten Boden des Konflikts auffängt: Sollte Marvin sich weigern, das Haus zu verlassen, verliert nicht der Sozialarbeiter einen Konflikt, sondern Marvin trägt die Konsequenz von 2 Monaten Hausverbot.
Und das Erfreuliche ist, dass dieses Netz den Sozialarbeiter bereits in den ersten beiden Konfliktphasen davor bewahrt hat, den Jugendlichen um den Preis von Autoritätsverlust dazu bewegen zu müssen, den Inhalt seiner Flasche zu zeigen. Die Konsequenz verhilft ihm zu genau der gelassenen Haltung, die notwendig ist, die distanzierte Haltung eines Schiedsrichters während des gesamten Konfliktverlaufs wahren zu können. Denn mit wirksamen Konsequenzen in der Hinterhand muss der Sozialarbeiter in den ersten beiden Phasen nicht gewinnen – kann also auch nicht verlieren. Und weil er nicht kämpfen muss, wirkt er gelassen und souverän.

Seien wir ehrlich: Wie wirken wir, wenn wir mit der Einstellung in die ersten beiden Konfliktphasen gehen, auf Biegen und Brechen unseren Kontrahenten dazu bewegen zu müssen, sich an die Regel zu halten? Wir wirken verkrampft und verbissen. Wir werden zum Sklaven unseres inneren Drucks, auf keinen Fall verlieren zu dürfen, wollen wir unser Gesicht und unsere Autorität wahren.
Wenn wir kämpfen, sind wir nicht mehr in der Position eines Schiedsrichters. Wir glauben, durch das regelverletzende Verhalten unseres Kontrahenten sei unsere Führung in Frage gestellt. Also wollen wir über die Unterwerfung des Kontrahenten unsere Führungsposition zurückgewinnen. Und je lauter wir werden, je stärker wir uns ins Zeug werfen und je heftiger wir austeilen, desto mehr offenbaren wir die eigentliche Antriebskraft unserer inszenierten Stärke – unsere verloren geglaubte Überlegenheit. Das Gefühl der eigenen Schwäche – der Führungsverlust – wird zur Triebfeder der Mobilisierung vermeintlicher Stärke. Und eins ist dabei sicher: Die regelverletzende Person spürt unsere Unterlegenheit hinter unserer inszenierten und aufgesetzten „Stärke“.

Wenn also der Sozialarbeiter den Fehler begeht, aggressiv und wütend in dem Konflikt mit Marvin zu werden, so wird dieser, egal wie der Kampf ausgehen mag, anschließend vor seinen Kumpels prahlen: „Habt ihr gesehen, wie ich den Sozialfuzzi auf die Palme gebracht habe. Der ist explodiert wie eine Rakete.“
Das „aus der Haut fahren“ des Sozialarbeiters kann von dem Jugendlichen bereits als Sieg verbucht werden. Kein Wunder, denn Marvin hat es geschafft, den „Sozialfuzzi“ durch sein „cooles“ Verhalten aus der Führungsposition herauszulocken und auf seine Ebene des Kampfes herunterzuziehen. Kampf aber bedeutet immer Augenhöhe und stellt die Hierarchie auf den Kopf!

Um wieviel gelassener, gewinnender und souveräner ist das Auftreten einer Person, die sich ihrer Sache und ihrer unangefochtenen Position sicher ist. Wer in den ersten beiden Konfliktphasen gelassen auftritt, weil er um die Wirksamkeit einer Konsequenz weiß, wirkt selbstbewusst und stark und behält die Führungsposition. Das Auftreten ist gewinnend, und nicht verletzend. Gewinnen statt besiegen!

Freie Wahl

In der Jugendeinrichtung gibt der Sozialarbeiter, so haben wir festgestellt, dem Jugendlichen zwei Optionen vor, zwischen denen dieser frei wählen kann: Entweder er verlässt sofort die Einrichtung, oder er bekommt 2 Monate Hausverbot. Jede der beiden Entscheidungen hat der Jugendliche zu verantworten.
Doch wenn wir genauer hinschauen, dann können wir erkennen, dass es einen wichtigen Grund gibt, der es Marvin schwer macht, sich tatsächlich frei zwischen den beiden ihm vorgesetzten Optionen zu entscheiden: Marvin ist, das lässt sich an seinen trotzigen und beleidigenden Reaktionen während der ersten beiden Konfliktphasen ablesen, „auf 180“. In seinem Körper werden „Kampfhormone“ ausgestoßen; Marvins Großhirn wird aufs Abstellgleis gestellt. Diese Abkopplung des Großhirns war Millionen von Jahre sinnvoll, wenn es galt, blitzschnell und ohne Überlegung wichtige Entscheidungen in einem Kampf gegen gefährliche Feinde zu treffen, die uns nach dem Leben trachteten. Eine Beteiligung des Großhirns am Kampfgeschehen zwecks Analyse der Situation hätte entscheidende Sekundenbruchteile zu lange gedauert – der Kampf wäre tödlich geendet. 

 Doch für Marvin wird diese – einst überlebenswichtige -  Abkopplung des Großhirns kontraproduktiv. Der Sozialarbeiter ist kein Säbelzahntiger, gegen den blitzschnelle Kampfentscheidungen getroffen werden müssen.
Der Konflikt in der Jugendeinrichtung dreht sich nicht um Leben oder Tod, sondern um die Entscheidung zwischen einem Abend oder 2 Monaten Hausverbot. Und diese Entscheidung will wohlüberlegt sein, denn schließlich trifft Marvin dort jeden Abend seine Freundinnen und Freunde.
Doch wegen seiner „Programmierung auf Kampf“ kann Marvin die Situation nicht sachlich analysieren. Eine nüchterne Vorteilsabwägung ist ihm auf Grund seines Körperzustands unmöglich. Er kann die Brücken, die der Sozialarbeiter ihm baut, gar nicht betreten. Im Volksmund wird Marvins Zustand treffend bezeichnet als „ausgerastet“, „durchgetickt“, „durchgedreht“ oder auch als „Rot-Sehen“ und „Black-Out“. Durch diese Bezeichnungen wird der Zwangscharakter seiner Handlungen deutlich. Marvin trifft im Affekt eine Wahl, die er kurze Zeit später - bei klarem Kopf - bereuen wird: Das 2-monatige Hausverbot.
Das bedeutet, dass Marvins Entscheidung unter diesen Bedingungen nicht im eigentlichen Sinn frei ist und rational und sachlich getroffen werden kann. In seinem Körperzustand der Programmierung auf Kampf kann er gar nicht anders als die irrational anmutende Option zu wählen, durch die Polizei abgeholt zu werden und zwei Monate die Einrichtung nicht betreten zu dürfen. Wer kämpft, will gewinnen. Folgerichtig käme das Verlassen der Einrichtung in Marvins Augen einer Niederlage gleich. Also verlängert er durch die Wahl des abgeholt-Werdens seitens der Polizei den Kampf, um sich wenigstens eine minimale Siegchance zu bewahren: „Vielleicht zieht der Sozialarbeiter das Ding ja doch nicht durch. Dann habe ich gewonnen. Oder die Polizei kommt erst in einer Stunde ...“ Die Hoffnung stirbt zuletzt. „Wer kämpft, kann verlieren, wer aufgibt, hat schon verloren.“, so lauten Marvin´s unbewusste Maximen, nach denen er handelt. „Kopflos“ folgt er seinen Kampfautomatismen. Marvin´s Entscheidung mag jedem Außenstehenden „hirnrissig“ erscheinen – für ihn selbst ist sie „psycho-logisch“.

Hilfestellungen

Unterstellen wir, dass es dem Sozialarbeiter grundsätzlich daran gelegen ist, seinen Jugendlichen immer wieder Chancen einzuräumen, um unangemessenes Verhalten zu überprüfen und zu revidieren. Er möchte, dass seine Jugendlichen lernen, auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und in der Gesellschaft klarzukommen. Folgerichtig wäre es ihm auch in diesem Konflikt lieber, Marvin würde sich besinnen und es nicht zum Rauswurf durch die Polizei kommen lassen. Abgesehen davon hat der Sozialarbeiter auch keinerlei Lust darauf, den Stress mit der Polizei und der Durchsetzung des Hausverbots durchstehen zu müssen. Ihm ist also viel daran gelegen, dass Marvin tatsächlich eine freie und rationale Wahl treffen kann und sich für das kleinere Übel, das sofortige Verlassen der Einrichtung, entscheidet. Folgerichtig baut er dem Jugendlichen, nachdem er ihn vor die Entscheidung zwischen den beiden Optionen gestellt hat, eine weitere Brücke:  

„Mensch, Marvin, überleg es dir gut, ob es das Wert ist: 2 Monate Hausverbot. Mach es doch nicht noch schlimmer. Ich mache dir einen Vorschlag: Ich drehe noch eine Runde und du hast ein paar Minuten Zeit, es dir in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Solltest du allerdings noch hier sein, wenn ich wiederkomme, greif ich zum Hörer und rufe die Polizei. Wenn du aber in fünf Minuten nicht mehr hier bist, ist alles okay und du kannst morgen gerne wiederkommen. Ich würde mich freuen, dich morgen hier bei der Disko wiederzusehen.“

Mit diesen Worten wendet sich der Sozialarbeiter ab und dreht seine Runde. Innerhalb der nächsten Minuten – das weiß er – wird einiges passieren:

Durch das Auflösen einer Kampfsituation wird das Großhirn wieder freigeschaltet. Durch die Auflösung der Konfliktsituation wird der Stresspegel des Jugendlichen sinken - seine „Kampfhormone“ werden abgebaut, denn der Kampf ist ja durch den Abgang des „Gegeners“ beendet. Marvin wird wieder klarer denken können und seine Entscheidung tatsächlich freier treffen können, als unter dem Einfluss einer konfrontativen Situation, die ihn im Zustand des Kampfes hält. Wahrscheinlich werden auch Marvins Kumpel auf ihn einreden, die Einrichtung zu verlassen. Denn auch ihnen wird es nicht daran gelegen sein, die nächsten zwei Monate ohne ihren Freund im Jugendhaus verbringen zu müssen. Marvin wird also spüren, dass er bei seinen Kumpels auch auf eine andere Art und Weise Anerkennung erfahren kann, als nur dadurch, in einem unnötigen Konflikt unbedingt als Sieger vom Platz gehen zu müssen. Zusätzlich bietet sich für Marvin die Chance, vom Sozialarbeiter unbeobachtet und möglicherweise feixend und mit ein paar deftigen Sprüchen das  Haus zu verlassen – Möglichkeiten, die ihm das Gefühl  geben, vor seinen Freunden das Gesicht  zu wahren.

Mit jeder Minute Abstand von der konfrontativen Situation wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Marvins Emotionen abklingen, er sich besinnt und die rational klügere Entscheidung fällt – die Einrichtung zu verlassen. Nur im Zustand des Nicht-Kampfes ist seine Entscheidung wirklich frei.

Das bedeutet: Sobald wir feststellen können, dass unser Kontrahent kämpft, gehen wir – wenn möglich - aus dem Konflikt heraus. Geben wir ihm eine Bedenkzeit, innerhalb der er sich für eine unserer beiden Optionen entscheiden kann. Die Bedenkzeit macht seine Entscheidung nicht nur freier und rationaler, sondern begünstigt durch die Auflösung der Kampfsituation auch dessen regelkonformes Verhalten. 

Konsequente Konsequenzen?

Doch was passiert, wenn die Emotionen nicht abklingen, oder die regelverletzende Person sich sogar frei für die Konsequenzen entscheidet?
Die Eltern der 17jährigen Caro haben die Regel aufgestellt, dass in der gesamten Wohnung, also auch in dem Zimmer ihrer Tochter, nicht geraucht werden darf. Die Eltern – beide Nichtraucher - fühlen sich durch den Rauch belästigt. Gegen diese Regel hat die Tochter verstoßen, indem sie in ihrem Zimmer geraucht hat. Der Vater führt nach diesem Regel-Verstoß ein Gespräch mit der Tochter.  Wir blenden uns in das laufende Gespräch ein und zitieren nur dessen Übergang von der zweiten  Konfliktphase auf die Konsequenzebene: 

„(...)“
„Ich möchte von dir die definitive Zusage, dass du dich an diese Regelung hältst.“
„In meinem Zimmer darf ich machen, was ich will. Das geht euch gar nichts an.“
„Keine Zigaretten in der gemeinsamen Wohnung, ist das klar?“
„Sehe ich gar nicht ein. Sibylle darf zu Hause auch rauchen, obwohl die Eltern Nichtraucher sind. Wenn ihr nicht da seid, rauche ich am offenen Fenster.“
„Caro, ist das klar?“
„Nein, sehe ich gar nicht ein.“
„Okay, ich möchte das nicht länger diskutieren. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du hälst dich an die Regel, oder wir kürzen dir dein Taschengeld um ungefähr den Betrag, den du für das Rauchen im Monat ausgibst. Wir sind nicht bereit, den Zigaretten-Gestank in unserer Wohnung mitzufinanzieren.“
„Das ist Erpressung.“
„Deine Entscheidung.“
„Und wenn, dann wäre es auch nur fair, mir das Geld für die Zigaretten abzuziehen, die ich hier zu Hause rauche.“
„Du kennst die zwei Möglichkeiten. Überleg es dir gut, ob dir das die paar Zigaretten hier zu Hause wert sind. Sollten wir das nächste Mal feststellen, dass du in deinem Zimmer geraucht hast, tritt die Konsequenz der Taschengeldkürzung in Kraft.“

Der Tonfall des Vaters ist in dem Gespräch durchgehend  energisch-bestimmt. Als er spürt, dass er seine Tochter Caro in der zweiten Phase des Konflikts nicht zu der verbindlichen Zusage bewegen kann, künftig auf das Rauchen zu verzichten, wechselt er auf die Konsequenzebene. Er wendet das oben beschriebenen Prinzip an, der Tochter zwei Optionen vorzugeben: regelkonformes Verhalten oder Konsequenzen. Danach verlässt er den Konflikt. Seine Tochter soll sich in Ruhe überlegen, wie sie sich entscheiden wird. Weitere Gespräche wird es von Seiten der Eltern über dieses Thema nicht mehr geben.

Das bedeutet: Wer einen Konflikt über eine Regelverletzung führt, sollte sich möglichst im Vorfeld der Auseinandersetzung über die Konsequenzen Gedanken machen, die bei fortgesetzter Regelmissachtung eintreten werden. Denn die Konsequenz, die bei Scheitern der Konfliktbewältigung dem Gegenüber genannt wurde, muss auch in die Tat umgesetzt werden. 
Sollte sich die Tochter also dazu entschließen, lieber die Taschengeldkürzung hinzunehmen, als auf den Zigarettenkonsum in ihrem Zimmer zu verzichten, dann müssen die Eltern handeln: Wenn die Tochter im Monat 30 oder auch 50 Euro für Zigaretten ausgibt, müssen sie ihr auch diese Summe vom Taschengeld abziehen:

 

Das Verwässern von Konsequenzen begünstigt Regelverstöße.   Die mögliche Botschaft einer Abmilderung von Konsequenzen ( z.B. nur 10 Euro Taschengeldabzug ) wäre folgende: „Konsequenzen werden nicht so hart umgesetzt, wie sie genannt werden.“ Die Folge von aufgeweichten Konsequenzen ist, dass sich die Tochter in Zukunft im Zweifelsfall für die Konsequenz, statt für die Einhaltung von Regeln entscheiden wird: „Wird schon nicht so schlimm werden. Letztes Mal haben die das auch nicht durchgezogen. Die reden nur.“

Aber auch die Verschärfung der Konsequenz – z.B. durch das komplette Streichen von Taschengeld – wäre im Sinne künftiger Regelverstöße kontraproduktiv. Die Botschaft an die Tochter wäre: „Solltest du dich für die Konsequenz entscheiden, musst du allerdings damit rechnen, dass sie noch erhöht wird.“ Die Eltern diskreditieren sich dadurch selbst als verlässliche Partner. Und wer sich selbst diskreditiert, kann nicht damit rechnen, dass sich auch das Gegenüber an einmal getroffene Absprachen hält. Die Tochter wird sich denken: „Gebe ich halt die Zusage. Aber wenn die Eltern nicht zu Hause sind, rauche ich heimlich in meinem Zimmer und mache das fenster weit auf. Kriegen die sowieso nicht mit. Wenn die sich nicht an Absprachen halten, mach ich das auch nicht.“ Die Verbindlichkeit eines Regelwerks wird also auch durch die Verschärfung von Konsequenzen unterlaufen. Offene oder heimliche Regelverstöße nehmen dann möglicherweise zu statt ab.

Ein Regelsystem basiert, das haben wir oben bereits definiert, auf Berechenbarkeit und Klarheit der ablaufenden Prozesse. Das Verwässern oder Verschärfen von einmal verhängten Konsequenzen dagegen basiert auf Willkür. Beide Systeme schließen einander aus.

Aber selbst wenn die Eltern einmal angekündigte Konsequenzen konsequent umsetzen -  über einen wichtigen Punkt müssen sie sich  in dem gegebenen Beispiel im Klaren sein, bevor sie der Tochter die möglichen Konsequenzen nennen: Sie werden die Zigaretten ihrer Tochter in der gemeinsamen Wohnung ertragen müssen, sollte diese sich für den Taschengeldabzug entscheiden!

Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass wir vor einem Konfliktgespräch sorgsam abwägen, ob wir die Konsequenzen konsequent umsetzen können, und ob wir die Konsequenzen auch tatsächlich mittragen wollen.

„Das wirst du sehen!“

In dem Konflikt um das Rauchverbot hatte es der Vater relativ leicht:  Er konnte den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann er das Gespräch mit seiner Tochter führen wird. Also konnte er bereits im Vorfeld gemeinsam mit seiner Frau Überlegungen darüber anstellen, wie sie damit umgehen werden, falls ihre Tochter sich nicht an die Vereinbarung halten sollte: Die Eltern hatten Zeit, sich in Ruhe alle nötigen Gedanken rund um die Frage der Konsequenzen zu machen und diese in dem oben skizzierten Konfliktgespräch ihrer Tochter zu nennen.

Auch in der Jugendeinrichtung wurde auf mehreren Teamsitzungen der Sozialarbeiter darüber beraten, wie man auf die einzelnen Regelverstößen der Jugendlichen reagieren kann und welche Konsequenzen die beharrliche Nicht-Beachtung von Regeln nach sich ziehen wird.
So war klar vereinbart, dass bei einem Verstoß gegen das Alkoholverbot ein Jugendlicher die Einrichtung sofort zu verlassen hat. Und auf schwerwiegende Verstöße wie das Nicht-Befolgen der Anweisungen von Sozialarbeitern gibt es 2 Monate Hausverbot.

Doch nicht immer können wir es uns aussuchen, wann wir einen Konflikt um einen Regelverstoß führen wollen. In vielen Situationen müssen wir spontan reagieren und haben überhaupt nicht die Zeit und Muße, uns geeignete Konsequenzen auszudenken – geschweige denn uns mit anderen Personen diesbezüglich abzusprechen. Wie können wir ein Hochseil betreten, ohne zu wissen, ob unter uns eine Netz gespannt ist, bzw. ob das Netz uns im Fall des freien Falls überhaupt trägt? Was also tun?

Das folgende Beispiel wird uns Sicherheit geben: Ein Schüler hat mehrmals den Unterricht gestört. Der Lehrer hat ihn zunächst ermahnt ( Phase 1: freundlich-bestimmt ), und dann verwarnt und ihm angedroht, dass er im Wiederholungsfall die Klasse zu verlassen habe ( Phase 2: energisch-bestimmt  / gelbe Karte ). Nach der nächsten massiven Störung fordert er ihn auf, seine Tasche zu packen und für den Rest der Strunde am Tisch vor dem Lehrerzimmer alleine weiterzuarbeiten. Der Schüler aber weigert sich, die Klasse zu verlassen. Auf diese Art von Widerstand war der Lehrer nicht gefasst; das war ihm in seiner bisherigen Schullaufbahn noch nicht vorgekommen. Also hatte er sich für den Fall, dass ein Schüler trotzig in der Klasse bleibt, keine angemessenen Konsequenzen überlegt. Schlägt er also ohne Netz auf dem harten Boden der Wirklichkeit auf?

„Tom, ich habe dich eben verwarnt. Du hast gerade zum wiederholten Mal deinem Tischnachbarn das Heft weggenommen und Seiten herausgerissen. Die Sachlage ist klar: Rote Karte. Du nimmst jetzt dein Heft, gehst an den Tisch vor dem Lehrerzimmer, meldest dich bei der Schulleitung an und arbeitest dort alleine bis zum Ende der Stunde.  Dann sehen wir weiter.“
„Nein, mach ich nicht. Ich hab doch gar nichts gemacht.“
„Keine Diskussion: Ich hab dich im Vorfeld verwarnt und jetzt gehst du raus.“
„Nein! Sascha hat mich gerade etwas gefragt, und ich wollte ihm nur was in seinem Heft zeigen. Ich geh nicht raus, schmeißen Sie Sascha doch raus.“
„Tom, du gehst raus. Ist das klar?“
„Nein.“
„Ist das klar?“
„Wenn Sascha nicht geht, geh ich auch nicht.“
„Das heißt, du weigerst dich, meinen Anordnungen zu folgen?“
„Ich hab doch  gar nichts gemacht.“
„Okay, Tom pass auf. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du folgst meiner Anweisung und gehst vor das Lehrerzimmer. Oder du bleibst hier sitzen – und trägst sämtliche Konsequenzern  Es geht dann nicht mehr nur um deine Störungen, sondern vor allem um deine Weigerung, den Raum zu verlassen. Das sind schon zwei dicke Regelverstöße.  Und dann trägst du die Folgen für dein uneinsichtiges Verhalten.“
„Was denn für Folgen? Was wollen Sie denn machen? Sie können mir gar nichts!“
„Das wirst du sehen. Und ich kann dir jetzt schon sagen, das wird heftig. Du hast genau 2 Minuten Zeit, die Klasse zu verlassen. Ich unterrichte jetzt weiter. Solltest du nach den zwei Minuten noch immer hier sitzen, entscheidest du dich für einen sehr ungemütlichen Weg. Überleg es dir gut. Verlass besser den Raum, bevor es zu spät ist.“
Mit diesen Worten wendet sich der Lehrer von dem Schüler ab und nimmt den Unterricht wieder auf. Er verlässt die konfrontative Situation und lässt Tom mit seiner Entscheidung allein. Sollte dieser die Klasse innerhalb der nächsten zwei Minuten verlassen, lässt er ihn kommentarlos ziehen – der Konflikt ist geklärt. Falls aber Tom nach Ablauf der ihm gegebenen Frist immer noch auf seinem Platz sitzen sollte, spricht der Lehrer ihn erneut an:

„Okay, Tom, die zwei Minuten sind um. Du hast dich dafür entschieden, in der Klasse zu bleiben und sämtliche Konsequenzen zu tragen. Ich hoffe, du hast dir das gut überlegt, denn jetzt wird es ernst für dich. Du bist für all die folgenden Konsequenzen selbst verantwortlich. Du hast es so gewählt.“
„Pfff. Mir doch egal. Sie können mir ja eh nichts.“
„Wir werden das jetzt nicht weiter besprechen Ich will mit dem Unterricht fortfahren.  Ich gebe dir nach der Stunde einen Termin, zu dem ich dir die Konsequenzen mitteilen werde.“

Für die weiteren Konsequenzen ( z.B. Elterngespräch; Klassen-konferenz; ) bedarf es näherer Absprachen und Überlegungen mit dem Klassenlehrer des Jungen oder dem Klassenteam. Der Lehrer hat also den Schüler lediglich damit konfrontiert, dass er einen doppelten Regelverstoß begeht und den genauen Inhalt der Konsequenzen offengelassen ( „Du trägst sämtliche Konsequenzen!“ ).

Der Lehrer hätte auch präziser sagen können:

„Welche Konsequenzen hat denn mein Verhalten? Sagen Sie es mir doch!“
„Das weiß ich noch nicht. Und ich werde mir während des Unterrichts auch keine Gedanken darüber machen. Ich werde mich dafür mit deinem Klassenlehrer und unserem Sozialpädagogen absprechen. Aber ich kann dir versichern, dass es sehr unangenehm für dich wird.  Also überleg´ es dir gut, ob du das riskieren willst. Du hast zwei Minuten Zeit.“

Daraus folgt: Haben wir in einem Konflikt keine passende Konsequenz parat, dann machen wir unserem Kontrahenten deutlich, dass seine doppelte Regelverletzung schwere Folgen für ihn haben wird. Den genauen Inhalt der Konsequenzen lassen wir offen.

Der schlimmste aller schlimmen Fälle

Seien wir ehrlich: Wie oft gehen wir mit der unterschwelligen Angst in einen Konflikt hinein, dass der  „schlimmste Fall“ eintritt und sich unser Gegenüber beharrlich weigert, die Regel zu beachten? „Was mache ich bloß, wenn der nicht  einsichtig ist und einlenkt?“;  so lautet die angstvolle Frage, die ein selbstsicheres Auftreten blockiert. Die Angst vor dem schlimmsten Fall schwingt bei Regelverstößen häufiger mit, als wir es uns eingestehen wollen.
Wenn wir jedoch die obige Strategie verfolgen, wird die Auseinandersetzung zu einem Spiel, das wir nicht verlieren können: Denn solange eine regelverletzende Person von uns zwei Optionen erhält, und eine dieser Optionen beinhaltet, dass die Regel um den Preis von Konsequenzen missachtet werden kann, solange bleibt ein Joker in unserer Hinterhand. Wir müssen nicht gewinnen und können daher in den ersten beiden Konfliktphasen gelassen und selbstsicher agieren. 

Der Schüler Tom kann, da er sich für den Weg der Konsequenzen entschieden hat, im Unterricht sitzen bleiben, ohne dass der Lehrer dadurch seine Autorität verliert. Denn Tom handelt mit seinem Verweilen im Unterricht nicht gegen die Aufforderung des Lehrers, sondern im Gegenteil gemäß einer ihm vorgegebenen Option des Pädagogen.
Nach der Stunde wird der Lehrer den Schüler kurz und knapp darüber informieren, welche weiteren Schritte er einleiten wird und wann der Schüler mit den Ergebnissen rechnen kann:

„Tom, ich sage dir nur kurz, wie es weitergeht: Ich werde mit deinem Klassenlehrer und dem Sozialpädagogen ein Gespräch führen, und wir werden gemeinsam beraten, welche Konsequenzen deine fortgesetzten Störungen und Weigerungen für dich haben werden. Du wirst spätestens am nächsten Dienstag das Ergebnis erfahren.“

Das bedeutet: Mit dem Netz der Konsequenzen unter Ihnen können Sie in den ersten beiden Konfliktphasen hoch pokern, ohne verlieren zu können. Wie auch immer sich die regelverletzende Person entscheidet: Sie handelt gemäß Ihrer Vorgaben. Wie oben bereits gesagt: Ein Befehl verlangt Gehorsam, einer Aufforderung darf sich der Regel-verletzende Kontrahent widersetzen – vorausgesetzt die verantwortliche Person hat wirksame Konsequenzen in der Hinterhand.
Mit der Sicherheit von Konsequenzen im Rücken gehen wir gedanklich noch einen Schritt weiter und konstruieren den „schlimmsten schlimmen Fall“ – nämlich dass der Schüler sich nicht nur weigert, die Klasse zu verlassen, sondern danach den Unterricht so sehr stört, dass der Lehrer nicht weiter unterrichten kann: 

„Tom, du hast dich eben dafür entschieden, in der Klasse zu bleiben und sämtliche Konsequenzen zu tragen. Jetzt störst du weiter den Unterricht. Entweder du bist sofort ruhig, oder ich lasse dich von der Schulleitung aus dem Unterricht holen. Was das für dich bedeutet, kannst du dir ausmalen. Es ist deine Entscheidung; aber bei der nächsten kleinen Störung rufe ich die Schulleitung.“

Auch für diesen Fall gilt, dass der Lehrer solange ein Netz unter sich hat, wie er dem Schüler zwei Optionen vorgeben kann:

„Okay Tom, du hast schon wieder gestört. Ich habe dich gewarnt. Ich gehe jetzt zur Schulleitung und lasse dich aus meinem Unterricht holen. Du bleibst hier und wartest auf uns.“

Se sehen: Auch in diesem schlimmsten aller schlimmen Fälle fällt der Lehrer weich. Und solange er das Holen der Schulleitung ruhig und gelassen durchführt, befindet er sich nicht auf der Flucht, sondern führt eine selbstbestimmte Handlung selbstsicher aus. Das unaufgeregte Holen der Schulleitung bedeutet keinerlei Autoritätsverlust – weder vor Tom, noch vor den anderen Schülerinnen und Schülern seiner Klasse.

Zusammenfassend können wir sagen: Bringen wir uns durch eine  unbedachte Zuspitzung eines Konflikts niemals in die Verlegenheit, einer regelverletzenden Person keine Wahlmöglichkeiten mehr anbieten zu können. Denn wenn unser Kontrahent keine Wahl mehr hat, dann haben auch wir keine Wahl mehr - wir müssen den Konflikt gewinnen, wollen wir unsere Autorität wahren. Solange wir Konsequenzen in der Hinterhand haben und diese als eine von zwei Optionen der regelverletzenden Person vorgeben, können wir gelassen in einem Konflikt agieren. Wir können nicht verlieren.

Ausstieg aus dem Ausstieg

Und dennoch sollten wir bei aller Wirksamkeit der Konfliktbewältigung eines bedenken: Dem Schüler Tom ist nicht nur mit Konsequenzen zu begegnen. Ansonsten ist dessen „Abschiebung“ vorprogrammiert. Tom hat sich, aus welchen Gründen auch immer, in eine Situation verrannt, aus der er ohne äußere Hilfe nicht mehr herauskommt. Wir sollten ihm den Ausstieg aus seinem Ausstieg erleichtern.

  Dazu sind - neben der Verhängung von Konsequenzen - umfangreiche Konfliktgespräche notwendig, in denen die beteiligten Pädagogen vor der schwierigen Aufgabe stehen, die Hintergründe des aufsässigen Schüler-Verhaltens in Erfahrung zu bringen. Und sie sollten dem Schüler Brücken bauen, so dass er aus dem Teufelskreis von Konsequenzen ausbrechen kann.
Da aber die Vermittlung von Techniken für das Führen derartiger Konfliktgespräche den Umfang dieses Leitfadens sprengen würde, begnügen wir uns an dieser Stelle mit dem Hinweis darauf, dass ein sicheres Auftreten bei Regelverletzungen nicht die Notwendigkeit von aufwändigen pädagogischen Prozessen ersetzen kann. Für diese Prozesse benötigen wir etwas, was in der aktuellen Bewältigung von Regelverstößen auf Grund objektiver Gegebenheiten häufig zu kurz kommt: Zeit, Empathie und Wertschätzung ( siehe hierzu: Rhode / Meis / Bongartz: „Angriff ist die schlechteste Verteidigung“ ).

Fazit:

1. Machen Sie sich möglichst im Vorfeld eines Konflikts Gedanken über sinnvolle Konsequenzen.

2. Konfrontieren Sie Ihren Kontrahenten auch mit dem zweiten Regelverstoß, nämlich dessen Weigerung, Ihre Aufforderungen zu befolgen.

3. Stellen Sie Ihr Gegenüber vor die Wahl, sich entweder regelkonform zu verhalten, oder die Konsequenzebene zu wählen.

4. Treiben Sie Ihren Kontrahenten nicht durch unnötigen Druck dahin, aus Gründen der Wahrung des Gesichts die Ebene der Konsequenz wählen zu müssen.

5. Geben Sie Ihrem Kontrahenten im Zweifelsfall Zeit, sich zu besinnen und sich frei für die Einhaltung einer Regel entscheiden zu können. Gehen Sie zwischenzeitlich aus dem Konflikt heraus.

6. Benutzen Sie die Sicherheit von Konsequenzen, um auch in dieser dritten Phase des Konflikts gelassen und ruhig agieren zu können.

7. Sollten Sie im Konflikt keine geeignete Konsequenz parat haben, lassen Sie den Inhalt der Konsequenz offen.

8. Ermöglichen Sie der regelverletzenden Person immer auch einen Ausstieg aus ihrem Ausstieg.

 

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