Angriff ist die schlechteste Verteidigung

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ca. 170 Seiten, kort.
€ [D] 18,00, Fr 30,80, € [A] 18,50
ISBN 3-87387-542-X; Format 17 x 24 cm,
WG 1535
Junfermann Verlag, Paderborn
Rudi Rhode, Ralf Bongartz, Mona Sabine Meis (Autoren)

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Leseprobe

„Bin ich auf Sendung?

Erstes verbales Standbein: Authentisches Senden

 

Die Stunde der Wahrheit naht: Nach der „mentalen Vorbereitung“ auf den Konflikt bitten Sie in einem ruhigen Moment Ihren Kollegen um ein Gespräch:

„Peter, hast du einen Moment Zeit für mich? Ich habe ein Problem, das ich gerne mit dir besprechen möchte.“
„Klar, worum geht es? Schieß los.“
„Es geht um das Radio. Ich weiß, dass du gerne Radio hörst während der Arbeit. Aber ich habe damit ein Problem.“
„Ist es dir zu laut? Ich mache es gerne leiser.“
„Es ist nicht die Lautstärke. Im Gegenteil: Es gibt so interessante Beiträge im Radio, dass ich auch zuhören möchte. Aber dann merke ich gleichzeitig, dass ich von meiner Arbeit abgelenkt bin und mich nicht richtig konzentrieren kann.“
„Aber sei doch nicht so verbissen. Hör dir den Beitrag in Ruhe an, und anschließend arbeitest du weiter. Mensch Junge, dann geht die Arbeit eben ein bißchen langsamer von der Hand. Da stirbt auch keiner dran.“
„Aber ich brauche die Konzentration. Ich kann die Arbeit leider noch nicht so locker sehen wie du.“
„Das kann man üben.“
„Ich habe es versucht, aber es klappt nicht. Und da mir sehr viel an unserer gemeinsamen Arbeit und an unserem guten Kontakt gelegen ist, möchte ich auch nicht als der große Spielverderber dastehen. Ich weiß ja auch, wie wichtig dir das Radio ist.“
„Das stimmt. Auf mein Radio zu verzichten, würde mir sehr schwer fallen“
„Eben. Und mir fällt es schwer, dabei zu arbeiten.“
„Was sollen wir machen?“
„Ich habe es versucht, mich an das Radio zu gewöhnen und gleichzeitig gut zu arbeiten. Ich habe lange gewartet, dieses Problem anzusprechen. Zum einen, weil ich mir immer wieder gesagt habe: „Du gewöhnst dich schon noch dran.“ Und  zum anderen, weil ich auch ein wenig Angst vor diesem Gespräch mit dir hatte.“
„Aber ich reiße dir doch nicht den Kopf ab.“
„Das weiß ich. Trotzdem fällt es mir schwer, darüber zu reden.“ 
„Tja, ein schwerer Fall.“
„Eben. Wir brauchen eine Lösung, mit der wir beide gut leben können.“

Das Gespräch ist durchgehend kooperativ verlaufen. Es ist Ihnen gelungen, Ihre Bedürfnisse und Emotionen umfassend in den Konflikt einzubringen. Gleichzeitig haben Sie darauf verzichtet, Ihren Kollegen herabzustufen. Im Gegenteil: Sie haben immer wieder betont, dass Sie dessen Wunsch nach einer entspannten Atmosphäre durch das Radio respektieren. Wir haben uns aus dem Gespräch ausgeblendet, bevor es zur Phase der konkreten Lösungsfindung kam. Aber wir werden an späterer Stelle darauf zurückkommen.

Verlassen wir den Schauplatz dieses Radio-Konflikts und erläutern wir die Prinzipien des authentischen Sendens an einem anderen fiktiven Beispiel, das wir in unseren Seminaren als amüsantes und gleichzeitig erhellendes Rollenspiel verwenden – dem Partyspiel.

Die Regeln dieses „Spiels“ sind schnell erläutert:

„Sie haben während der letzten fünf Jahre in einer anderen Stadt gelebt und sind jetzt an Ihren alten Heimatort zurückgekehrt. Doch leider müssen Sie feststellen, dass Sie niemanden mehr kennen. Alle Ihre alten Freundinnen und Freunde sind weggezogen...
Eines Tags jedoch erhalten Sie eine Einladung von einem ehemaligen engen Freund zu seiner Party. Einer ist also doch noch am Ort wohnen geblieben. Sie freuen sich darauf, den Freund wiederzusehen und gehen mit dieser großen Erwartung auf die Fete. Doch bereits nach einer Stunde ist Ihre Laune auf dem Nullpunkt. Ihr Freund mußte sich natürlich um die anderen Gäste kümmern. Da sich Ihre Party-Vorfreude aber auf das Wiedersehen mit Ihrem Freund beschränkt hat, sind Sie an diesem Abend nicht offen für andere Gäste. Sie stehen sich selbst im Wege. Sie merken, dass Sie schnell gehen müssen – egal, was passiert. Aber Sie wollen auch nicht die Freundschaft aufs Spiel setzen.“

Soweit die sachlichen und emotionalen Hintergründe des Rollenspiels. Wir unterteilen das Seminar in Untergruppen von je vier Personen. Jede Gruppe hat fünf Minuten Zeit, eine Person aus ihrer Mitte zu bestimmen, die dem Gastgeber - ohne ihn zu verletzen oder die Freundschaft zu gefährden – beibringen soll, dass sie unverzüglich gehen möchte. Die Gruppe soll sich auf eine gemeinsame Strategie einigen, die die ausgewählte Person in dem anschließenden Rollenspiel umsetzen soll. Dieser Person ist es nicht gestattet, Kompromisse einzugehen. Sie darf sich nicht dazu überreden lassen, noch ein bißchen zu bleiben. Sie muß ihrem Gefühl nachgehen, schnell gehen zu wollen!
Der Seminarleiter selbst schlüpft in die Rolle des Gastgebers und führt das Rollenspiel mit den auserwählten Personen nacheinander durch. Hartnäckig versucht er, die alte Freundin oder den alten Freund zu überreden, doch noch ein wenig zu bleiben. Er bemüht sich, alle Register der „psychologischer Kriegsführung“ zu ziehen. Dadurch dauert jedes der Rollenspiele mindestens drei Minuten.

Die Totschlag-Argumente des Gastgebers:
„Gefallen dir meine Gäste etwa nicht“?“
 „Willst du mir indirekt Vorwürfe machen, weil ich mich bis jetzt um meine anderen Gäste gekümmert habe?“
„Früher warst du nicht so komisch und zickig!“
„Ich habe meine anderen Gäste bis jetzt versorgt, um Zeit nur für dich zu haben!“
„Ich habe diese Party extra für dich arrangiert, damit du ein paar Leute kennenlernen kannst.“
„Mein ganzer Abend ist versaut, wenn du jetzt gehst.“
„Das war früher schon so: Du ziehst ohne Rücksicht auf andere deinen Stiefel egoistisch durch.“

Alle Rollenspielerinnen und Rollenspieler bemühen sich um Authentizität. Und doch gibt es drei Klippen, an denen sie häufig stranden und ungewollt und unbewußt ihre Authentizität aufgeben. Diese Klippen möchten wir dataillierter vorstellen, weil sich an ihnen Grundzüge nicht-authentischer Kommunikation in Konflikten darstellen lassen:

Erste Klippe: Schuldzuweisungen

„Ich möchte gehen, weil du dich nur um deine anderen Gäste gekümmert hast und bisher keine Zeit für mich gefunden hast.“
Über diesen Satz, der in vielen Rollenspielen so oder ähnlich von den Teilnehmern geäußert wird, wird in den Seminaren heftig diskutiert. Handelt es sich dabei um eine einfache Feststellung, oder um einen Vorwurf an den Gastgeber? Wir denken, diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Zunächst scheint es sich um eine einfache Feststellung des bisherigen Verlaufs des Abends zu handeln. Denn tatsächlich entspricht es der Tatsache, dass sich der Gastgeber in der letzten Stunde ausschließlich um seine anderen Gäste gekümmert hat. Aber was den Satz zu mehr als nur einen objektiven Feststellung macht, ist der direkte Kausalzusammenhang, der hergestellt wird: „Ich möchte gehen, weil du...“  Die versteckte Botschaft dieses Satzes lautet dadurch: „Dein Verhalten ist die Ursache meines Gefühls, jetzt gehen zu müssen.“  Dem Gastgeber wird also die Verantwortung für das eigene Gefühl zugeschoben. Hinter diesem Kausalzusammenhang verbergen sich Schuldzuweisung und Vorwurf. Strenggenommen handelt es sich also auch bei dieser Äußerung um die Delegierung von Verantwortung für die eigenen Gedanken und Gefühle an eine andere Person – in diesem Falle den Gastgeber. Der Satz ist mehr als eine Feststellung von Tatsachen. Wir verwechseln dabei zwei Dinge miteinander, die wir sorgfältig trennen sollten: Das Verhalten der anderen am Konflikt beteiligten Person mag der Auslöser meines Ärgers sein, ihr Verhalten ist aber nicht der Grund meines Ärgers.
Was also ist genau der Grund des Ärgers, der durch die Tatsache ausgelöst wird, dass sich der Gastgeber eine Stunde lang um seine anderen Gäste gekümmert hat? Der wirkliche Grund sind die hohen Erwartungen und unbefriedigten Bedürfnisse nach Kontakt des Gastes zu dem Gastgeber. Der Grund des Ärgers ist Frustration. Doch statt zu erkennen, dass er sich seinen Ärger und seinen Frust selbst gemacht hat, gibt der Gast dem Gastgeber die Schuld für seine negativen Gefühle. Auch wenn dieser durch seine Gastgeberrolle und die damit verbundene Beschäftigung dieses Gefühl ausgelöst hat - für die eigenen Gefühle der Enttäuschung und des Ärgers ist der Partygast selbst verantwortlich. Es liegt in seiner Verantwortung, welches Gefühl er wie intensiv erlebt.
Wir wissen, wie schwer es uns fällt, die volle Verantwortung für die eigenen Gedanken, Gefühle und das eigene Handeln zu übernehmen. Die damit verbundene Denkweise stellt unser gesamtes System auf den Kopf, das wir so mühsam gelernt haben: „Die anderen sind schuld, wenn es mir schlecht geht.“

Wir sind es zu sehr gewöhnt, unsere Gefühle als abgetrennt von unserem Denken zu empfinden, alsdass wir anerkennen könnten, dass wir uns unsere Gefühle nur selbst machen können. Gefühle sind untrennbar mit unserem Denken verbunden. Unsere Gefühle sind gekoppelt an Bewertungen von Situationen und Personen, die wir ständig vornehmen.

Wir möchten Ihnen diese grundlegende These an einem einfachen Beispiel erläutern:
Sie sind mit einer Person verabredet, auf die Sie bereits seit 20 Minuten warten. Sie werden sauer. Auf den ersten Blick werden Sie sagen:
„Ich bin sauer, weil die andere Person zu spät kommt und mich warten läßt!“
Doch horchen Sie einmal in sich hinein. Warum sind Sie sauer?
Sie sind sauer, weil Sie sich beeilt haben und andere Tätigkeiten abgebrochen haben, um pünktlich zu sein.
Sie sind sauer, weil Sie das Gefühl haben, sinnvollere Dinge mit Ihrer Zeit anfangen zu können.
Sie sind sauer, weil Sie an dem verabredeten Treffpunkt in der Kälte stehen.
Sie sind sauer, weil Sie sich mißachtet fühlen.
Sie sind sauer, weil Sie sich abhängig fühlen.
Sie sind sauer, weil Sie sich auf das Treffen gefreut haben.

Alles das sind Gefühle, die in Ihnen selbst begründet sind. Die andere Person ist lediglich der Auslöser, nicht der Grund Ihres Ärgers. Sie könnten ja auch gehen. Warum also warten Sie? Weil Ihnen die gemeinsame Zeit wichtig ist.
Es ist also Ihre Priorität, zu warten statt zu gehen. Sie nehmen die Wartezeit auf sich, weil Ihnen die möglichen Vorteile eines gemeinsamen Treffens wichtiger sind, als die Nachteile des Gehens. Es ist also Ihre Entscheidung.
Was ist mit der Intensität Ihres Ärgers? Von welchen Faktoren hängt diese ab? Von Ihren Bewertungen der Person. Je mehr Schuldhaftigkeit und gegen Sie gerichtete Böswilligkeit Sie der verspäteten Person unterstellen, desto größer Ihr Ärger. Er wächst also mit der Grad Ihrer unterstellten Schuldzuschreibung. Es sind aber Ihre Unterstellung und Ihre Bewertung. Wenn Sie der verspäteten Person absichtliche Verspätung unterstellen, sind sie nicht nur ärgerlich, sondern wütend.
Und je mehr Streß Sie heute hatten, desto heftiger das Gefühl des Ärgers. Aber wohlgemerkt: Es war Ihr Streß.
Und je höher Ihre Erwartung, die Sie an das heutige gemeinsame Treffen geknüpft haben, desto größer Ihre Enttäuschung.
Ebenso gilt: Je größer Ihre emotionale oder sachliche Abhängigkeit von der verspäteten Person, desto größer Ihr Ärger. Die verspätete Person kann nur das auslösen, was Sie in sich selbst durch Ihre Erwartungen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Erlebnisse und Bewertungen begründet haben.

Um Ihnen Ihre eigene Verantwortung für Ihren Ärger zu verdeutlichen, stellen Sie sich einfach vor, was passieren würde, wenn die verspätete Person am ausgemachten Treffpunkt mit einem Verband erscheinen und Ihnen mitteilen würde, dass sie unterwegs überfallen worden ist? Dann wäre Ihr selbstgemachter Ärger wie weggeblasen, weil Ihre gesamte Bewertung der Situation und Person in sich zusammenbrechen würde. Ihre Wertungen, die Sie sich ununterbrochen eingeredet hätten ( „Die andere Person ist rücksichtslos“ ) und auf denen Sie Ihren Ärger begründen würden, brächen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Mit einem Mal wäre der Ärger verflogen und würde Ihrem Mitleid für die verletzte Freundin oder Freund weichen.
Ein weiteres Beispiel:
Sie werden von einer wildfremden Person, die offensichtlich geistesgestört ist, auf offener Straße beschimpft. Welches Gefühl löst diese Person mit ihren Beleidigungen in Ihnen aus? Vermutlich eher Mitleid denn Zorn.
Was aber, wenn eine gute Freundin Sie mit den gleichen Worten beleidigt, wie die wildfremde Person? Sie werden wütend. Wo liegt der Unterschied Ihres Gefühls? In Ihrer unterschiedlichen Bewertung der beiden Personen – also in Ihrem Denken! Sie machen sich das Gefühl des Ärgers oder der Wut, nicht ihr Gegenüber. Dieser kann sie nur beleidigen, wenn Sie ihm die Macht dazu geben. Sie fühlen sich durch die Worte Ihrer Freundin nur deshalb beleidigt, weil Sie wert auf deren Meinung legen. Und wenn Ihre Freundin Sie mit ihren verletzenden Worten an einem Punkt trifft, an dem Sie besonders empfindlich sind, dann fällt Ihr Ärger umso größer aus. Aber es ist Ihr wunder Punkt, und nicht der Ihrer Freundin.

Gefühle werden beeinflußt durch unser Denken. Ohne Bewertung gibt es keine Gefühle. Die Bewertungen, die wir vornehmen und eine wichtige Grundlage unserer Gefühle bilden, werden von uns selbst vorgenommen. Wir selbst machen uns unsere Gedanken und Gefühle, nicht andere Menschen. Diese können nur auslösen, was wir selbst in uns begründet haben.

Wir sind am zentralen Punkt unseres Buches angelangt. Ohne die Übernahme der Verantwortung für unsere Gedanken und Gefühle, für unsere Bedürfnisse und Wünsche ist eine gewaltfreie Konfliktlösung unmöglich. Solange wir andere Menschen für unsere Emotionen verantwortlich machen, können wir nicht von der Wippe abspringen – wir schieben unseren Partnern die Schuld am Konflikt zu und setzen sie herab. Der Kampf beginnt.

In unseren Seminaren werden wir immer wieder mit Einwänden konfrontiert wie: „Sie predigen Authentizität. Wenn ich doch auf meinen Konfliktpartner wütend bin, dann ist es doch authentisch, diesem auch zu sagen, dass er mich aufregt.“
Wir bitten die jeweils Einwand erhebende Person, ein konkretes Beispiel anzuführen.
Teilnehmer: „Angenommen, mein Gesprächspartner läßt mich nicht ausreden und unterbricht mich immer wieder, dann werde ich sauer auf ihn und sage ihm, dass mich sein Art nervt.“
Seminarleiter: „Gut, was sagen Sie ihm also?“
„Dass ich wütend bin, weil er mich immer wieder unterbricht.“
„Was stört Sie konkret daran, wenn er Sie unterbricht?“
„Ich kann meine Gedanken nicht zu Ende führen und nicht das mitteilen, was ich wirklich sagen möchte. Und dann gerate ich ganz durcheinander.“
„Und Sie können sich nicht konzentrieren.“
„Nicht richtig.“
„Sind sie zu langsam?“
„Quatsch. Mein Tempo ist okay.“
„Geraten Sie in Stress, wenn Sie mit ihm reden?“
„Jedenfalls ist es kein ruhiges und entspanntes Gespräch.“
„Und das wollen Sie: entspannt mit ihm reden.“
„Ja natürlich, aber weil das nicht geht, meide ich ihn.“
„Macht es Sie auch wütend, wenn er andere Menschen unterbricht – zum Beispiel in Gesprächen, in denen Sie nicht direkt beteiligt sind?“
„Dann nicht, weil ich ja nicht betroffen bin.“
„Also ist es nicht die Tatsache des Unterbrechens an sich, sondern Ihre Betroffenheit, die Sie wütend macht.“
„Ja klar.“
Wenn wir das Ergebnis dieser bohrenden Fragen zusammenfassen, dann gelangen wir zum eigentlichen Kern des Konflikts, nämlich zur wirklichen Authentizität: Der Teilnehmer möchte mehr Raum für eigene Gedanken haben. Er sucht nach einer entspannteren Gesprächsatmosphäre, um gemäß seinem eigenen Tempo seine Gedanken konzentriert äußern zu können. Diese unbefriedigten Bedürfnisse des Teilnehmers nach einer befriedigenden Kommunikation sind die Gründe des Ärgers, die durch die unterbrechende Art des Konfliktpartners lediglich ausgelöst werden. Gäbe es diese Bedürfnisse des Seminarteilnehmers nicht, könnte die unterbrechende Person bei ihm auch keinen Ärger auslösen.
Doch die unbefriedigten Bedürfnisse des Seminarsteilnehmers wurden von diesem in dem Konflikt zunächst überhaupt nicht wahrgenommen. Statt zu dieser tieferen Ebene der Authentizität vorzudringen und aus ihr die Kraft für ein klärendes Gespräch zu ziehen, mauert er sie ein und benutzt die darin enthaltene Energie, um sie in einen wütenden Angriff gegen den Konfliktpartner zu wenden: „Du nervst mich mit deiner dämlichen Art, mich immer zu unterbrechen. Halt dich einfach mal zurück und laß´ mich audreden!“ Und verkauft wird die in Destruktivität umgewandelte Energie von dem Teilnehmer als authentischer Ausdruck seiner Gedanken und Gefühle. Er tappt in die Falle der Oberflächlichkeit. Aber machen wir ihm keinen Vorwurf: „Du bist schuld, wenn es mir schlecht geht“ ist nicht nur ein oberflächliches und einfaches, sondern weit verbreitetes und stark verinnerlichtes Denk- und Gefühlsmuster, das wir von klein auf gelernt haben. Die Befreiung aus selbst verschuldeter Unmündigkeit ist ein beschwerlicher Weg.
Was wäre aber gewesen, wenn der Seminarteilnehmer zu seiner tieferen, authentischen Ebene vorgedrungen wäre und die konstruktive Kraft entdeckt hätte, die sich hinter seinem Wunsch nach befriedigender Kommunikation verbirgt?
„Peter, ich möchte gerne mit dir reden. Mit ist in letzter Zeit aufgefallen, dass ich Gespräche mit dir immer mehr meide. Sie waren oft unbefriedigend, weil ich meine Gedanken nicht in Ruhe zu Ende ausführen konnte. Ich fange einen Satz an, und du führst ihn weiter. Dann werde ich sauer, manchmal auch wütend und das führt dazu, dass ich mich kaum noch konzentrieren kann und in Stress gerate, weil ich dir nicht immer das mitteilen kann, was ich dir eigentlich sagen möchte. Und da ich Angst hatte, dieses Problem mit dir anzusprechen, habe ich Gespräche mit dir immer häufiger gemieden. Aber mir liegt viel an dir, und deswegen habe ich das jetzt einfach mal angesprochen.“
Kein Wort der Herabstufung und Schuldübertragung. Dieses Konfliktgespräch basiert auf Authentizität und Selbstverantwortung. Aber es verlangt Bewußtheit und Besinnung. Natürlich ist es einfacher, den Konfliktpartner für die eigenen Gedanken und Gefühle verantwortlich zu machen und ihm die Wut an den Kopf zu knallen. Aber für authentisch halten wir diesen destruktiven Weg nicht.

Schuldzuweisung im Konflikt basiert darauf, dass die eigenen Emotionen, Gedanken und Bedürfnisse hinter Mauern versteckt werden. Die nach Erfüllung eigener Bedürfnisse suchende Kraft gelangt zwar durch diese Mauern hindurch, wird aber in eine destruktive Energie ( Ärger, Wut, Zorn ) umgewandelt und gegen den „schuldigen“ Konfliktpartner gerichtet. Sie soll ihn treffen und zur Erfüllung eigener Wünsche zwingen.

Kehren wir zurück auf die Party. Nicht der Gastgeber mit seinem Verhalten ist der Grund des Ärgers des Partygastes, sondern es sind die hohen Erwartungen, die damit verbundenen Enttäuschungen und die unbefriedigten Bedürfnisse des Gastes. Der Gastgeber mit seinem Verhalten löst diese Gefühle nur aus. Hätte der Gast diese hohen Erwartungen an den Gastgeber nicht gehabt, hätte ihn das Handeln des Gastgebers vermutlich nicht gestört. Hätte er sich stattdessen im Vorfeld darauf gefreut, neue Leute in der Stadt kennzulernen, hätte sich der Gast anderen Gästen gegenüber öffnen können. So aber stand er sich mit seinen Gedanken und Gefühlen selbst im Weg.
äre, hätte er seinen bevorstehenden Abschied anders begründen müssen:
Gast: „Du hast dich bislang natürlich um deine anderen Gäste kümmern müssen. Das verstehe ich. Ich hatte aber die überzogenen Erwartungen an den heutigen
Abend , dass wir ganz viel Zeit füreinander haben. Ich bin deswegen den anderen Gästen gegenüber überhaupt nicht offen. Und jetzt merke ich, dass ich mich auf nichts mehr einlassen kann. Ich stehe mir selbst im Wege und komme da auch nicht mehr raus. Deswegen möchte ich jetzt einfach gehen.

Gastgeber: „Ach komm. Jetzt habe ich Zeit für dich. Meine Gäste sind versorgt. Komm, bleib noch ein bißchen.“
Der Gast hat in diesem Falle eine objektive bzw. verständnisvolle Feststellung über das Verhalten des Gastgebers gemacht, diese aber nicht als Begründung für das eigene Gefühl benutzt. Der Gastgeber sah durch diese Feststellung und die anschließende selbstverantwortliche Begründung keinen Anlaß, einen versteckten Vorwurf zu empfinden. Der weitere Konflikt verlief kooperativ. Gast und Gastgeber können nach einer einvernehmlichen Lösung suchen.
ätte der Gastgeber auf eine versteckte Schuldzuweisung des Gastes reagiert:
Gast: „Ich möchte gehen, weil du dich nur um deine anderen Gäste gekümmert hast und bisher keine Zeit für mich gefunden hast.“
Gastgeber: „Aber es ist doch klar, dass ich mich als Gastgeber erst einmal um alle Gäste kümmern muß. Was erwartest du? Dass ich hier alles stehen nund liegen lasse und mich nur um dich kümmere?"
Der Gastgeber fühlt sich angegriffen und verletzt und reagiert mit einem Gegenangriff. Der Konflikt droht einen konfrontativen Verlauf zu nehmen. Die Wippe ist aktiviert.

Gast: „Ich möchte gehen, weil du dich nur um deine anderen Gäste gekümmert hast und bisher keine Zeit für mich gefunden hast.“
Gastgeber: „Oh, das tut leid. Aber ich war so im Stress, dass ich dich gar nicht richtig wahrgenommen habe. Entschuldige bitte. Komm, wir trinken erst einmal ein Bier zusammen.“
Der Gastgeber fühlt sich angegriffen, geht aber in die Opferrolle ( Selbstherab-stufung und Fremderhöhung ), um den Gast zu beschwichtigen. Die Wippe ist aktiviert.

Die Ärgermitteilung ist der schwierigste Teil der Konfliktbewältigung, denn hier sind versteckte Schuldzuweisungen, Verletzungen und Herabsetzungen des Konfliktpartners besonders häufig anzutreffen.

Wir geben Ihnen ein anderes Beispiel:
„Ich ärgere mich, weil du wieder einmal nicht gespült hast. Du hattest es fest zugesagt.“
Die ärgerliche Person, so werden Sie jetzt einwenden, hat eine Ich-Botschaft verwendet, um ihrem Ärger freien Lauf zu lassen. Und doch handelt es sich auch bei diesem Beispiel um eine versteckte Du-Botschaft, die den Konfliktpartner herabsetzt. „Du mit deinem störenden Verhalten bist die Ursache meines Ärgers“, so lautet die versteckte Botschaft der Ärgermitteilung. „Und dein störendes Verhalten  ( „wieder einmal“ ) ist keine einmalige Entgleisung, sondern kommt regelmäßig vor. Es ist ein Charakterzug von dir.“  ( Fremderniedrigung )
Aber seien Sie ehrlich: Was ärgert die Person wirklich in diesem Konflikt? Sie hat sich darauf verlassen, dass der Spülberg wie verabredet abgetragen wird. Und jetzt stellt sie fest, dass sich ihr Partner nicht an die Absprache gehalten hat. Sie ist enttäuscht. Gleichzeitig ärgert sich die Person, dass Sie erneut Zeit und Energie einsetzen müssen, um ihren Partner zum Spülen zu bewegen. Vielleicht ärgert sie sich auch über den weiteren Anblick eines Spülberges mitten in der Küche – sie braucht Ordnung. Wie also kann sie ihren Ärger über den Spülberg authentisch und nicht-verletzend mitteilen?
„Wir hatten verabredet, dass du heute spülst. Der Spül ist immer noch nicht erledigt. Ich ärgere mich, weil ich jetzt kochen möchte und dazu eine aufgeräumte Küche und abgewaschenes Geschirr brauche. Ich möchte mich auf Absprachen verlassen können.“
Zunächst einmal hat die Person mit den ersten beiden Sätzen den Ist-Zustand abwertungsfrei beschrieben. Die anschließende Ärger-Mitteilung hat sie mit ihren eigenen Gefühlen begründet. Sie hat die Verantwortung für ihre Emotionen übernommen, und diese nicht ihrem Partner übertragen.

Jeder offene oder versteckte Vorwurf ist eine Herbastufung des Konfliktpartners und aktiviert die Wippe.

Wenn Sie akzeptieren und fühlen können, dass eine andere Person lediglich den Ärger auslösen kann, den Sie selbst in sich begründen, dann fallen die Ärgermitteilung und ein Verhaltensänderungs-Wunsch an eine andere Person gefühlvoller und achtsamer aus. Wenn Sie die volle Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen können, sind Vorwürfe an Ihre Konfliktpartner weitgehend ausgeschlossen.

Das gemeinsame Merkmal aller offenen wie versteckten Du-Botschaften ist, dass sie die Konfliktpartner in die Defensive treiben, indem ihnen Schuld übertragen wird. Das Verhalten der anderen Person wird abgewertet. Und jede offene oder versteckte Abwertung erhöht die Gefahr der Konfrontation und damit des Kampfes.

Fassen wir kurz die Tücken der ersten Klippe nicht-authentischen Sendens zusammen: Es fällt uns schwer, die Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Wir sind es gewohnt, andere Menschen dafür verantwortlich zu machen, wenn wir negative Gefühle hegen. Wir verwechseln Auslöser und Grund des eigenen Ärgers. Das Ergebnis ist eine offene oder versteckte Schuldzuweisung:
„Ich bin sauer, weil du nicht aufgeräumt hast.“
„Es ärgert mich, wenn du die Musik so laut machst.“
  
Die eigenen Gefühle zu benennen bedeutet noch nicht, die volle Verantwortung für das eigene Denken und Fühlen zu übernehmen. Wenn die eigenen Gefühle zwar benannt, aber mit dem Verhalten einer anderen Person begründet werden, handelt es sich um eine Schuldzuweisung und damit um ein Delegieren von Verantwortung.

In einer authentischen Mitteilung übernimmt die sprechende Person die volle Verantwortung für ihre eigenes Denken, Fühlen und Handeln. Sie begründet ihre eigenen Gefühle und die daraus resultierenden Bedürfnisse und Wünsche aus sich selbst heraus. Diese Kommunikation ist gewaltfrei, weil sie die andere am Konflikt beteiligte Person nicht herabsetzt und verletzt. Sie setzt auf Kooperation statt auf Konfrontation. „Ich habe ein Problem“ statt „Du mit deinem fehlerhaften Verhalten bist das Problem“ – so lautet die eigentliche Botschaft einer nicht verletzenden Ärgermitteilung.

Vermeiden Sie in einem Konflikt, den Sie kooperativ führen wollen, jede direkte oder auch indirekte Schuldzuweisung. Übernehmen Sie die volle Verantwortung für Ihre Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und Wünsche.

Zweite Klippe: Projektion

Es gibt eine zweite Klippe des nicht-authentischen Sendens, die wir unbewußt in unseren Konflikten zielstrebig ansteuern, um daran zu kentern:

„Rudi, vielen Dank für die Einladung. Aber ich möchte jetzt gehen.“
„Was? Es ist 21 Uhr. Gefällt es dir nicht?“
„Gefallen ist nicht der richtige Ausdruck. Ich bin hierhin gekommen mit der unrealistischen Erwartung, mit dir einen ruhigen Abend verbringen zu können. Und das geht natürlich nicht. Ich hatte nicht berücksichtigt, dass du Gastgeber bist.
„Ich mußte mich halt um meine Gäste kümmern.“
„Völlig klar. Ich sage ja, dass es unrealistische Erwartungen waren. Aber deswegen bin ich den anderen Gästen gegenüber überhaupt nicht offen. Und jetzt merke ich, dass ich mich auf nichts mehr einlassen kann. Ich stehe mir selbst im Wege und komme da auch nicht mehr raus. Deswegen möchte ich jetzt einfach gehen.“
„Ach komm. Jetzt habe ich Zeit für dich. Meine Gäste sind versorgt. Bleib noch ein bißchen. Ich nehme mir die Zeit – nur für dich. Erzähle mal, wie es dir ergangen ist in all den Jahren.“
Bis hierhin war der Gast authentisch. Er hat die volle Verantwortung für die eigenen Gedanken und Gefühle übernommen und den Gastgeber nicht herabgestuft. Doch dessen überraschendes Angebot bringt ihn in Bedrängnis. Hören wir einmal, wie der Gast reagiert:
„Ach komm. Jetzt habe ich Zeit für dich. Meine Gäste sind versorgt. Bleib noch ein bißchen. Ich nehme mir die Zeit – nur für dich. Erzähle mal, wie es dir ergangen ist in all den Jahren.“
„Aber das geht doch nicht. Du bist doch der Gastgeber. Du kannst dich doch nicht einfach nur um mich kümmern. Was sollen denn die anderen Gäste sagen?“

Jetzt ist der Gast gestrandet - an der Klippe der Projektion. Er spricht für den Gastgeber und die übrigen Gäste. Die Projektion war eine Sackgasse, aus der der Gast nur schwer wieder herausfinden wird. Denn das Wesen der Projektion ist die Unterstellung, besser beurteilen zu können, was der Konfliktpartner kann oder nicht kann, als dieser selbst. Doch Projektionen können wie eine Blase zerplatzen, wenn die andere Person sich nicht entmündigen läßt und darauf besteht, für sich selbst entscheiden zu können:
Gastgeber: „Natürlich kann ich mich mit dir zurückziehen. Meine Gäste wissen, wie sie sich selbst versorgen können. Und schließlich habe ich denen bereits gesagt, dass ich dich nach fünf Jahren zum ersten Mal wiedergesehen habe und gerne in Ruhe mit dir plaudern möchte. Die verstehen das. Also komm, erzähl mal.“

Im Grunde ist diese zweite Klippe nicht-authentischer Kommunikation ebenfalls eine versteckte Schuldzuweisung: „Wenn du dich um mich kümmerst, vernachlässigst du deine Gäste und handelst demnach falsch“, so lautet die heimliche Aussage. Und ähnlich wie bei einem versteckten Vorwurf wird die angesprochene Person alles in Bewegung setzen, um diese Unterstellung zu widerlegen. Denn erstens fühlt sie sich entmündigt, und zweitens möchte sie ja auch mit dem Gast plaudern: „Natürlich habe ich jetzt Zeit für dich!“ Und drittens wird sie nicht den Vorwurf auf sich sitzen lassen wollen, falsch zu handeln: „Meine Gäste wissen, wie sie sich...“
Der Gast war, und das ist ziemlich offensichtlich, an diesem Punkt nicht mehr authentisch. Er hat nicht für sich, sondern für seinen Konfliktpartner gesprochen. Und schon ist er an der Klippe der Projektion gestrandet. Was kann er noch machen, um aus der Sackgasse nicht-authentischer Konfliktbearbeitung herauszukommen? Er kehrt zurück zu seinen eigenen Beweggründen:
Gastgeber: „Natürlich kann ich mich mit dir zurückziehen.“
Gast: „Trotz alledem: Ich bin nicht mehr offen. Ich bin nicht mehr in der richtigen Stimmung. Ich stehe mir selbst im Wege und möchte einfach gehen. Bitte verstehe das.“
Eine weitere Möglichkeit, zurück zur Authentizität zu gelangen, besteht in dem Versuch, sich wieder einmal der eigenen Gefühle bewußt zu werden, die zum Stranden an der Klippe geführt haben. Denn vermutlich hätte der Gast selbst Probleme damit, wenn sich der Gastgeber nur um ihn kümmern würde. Er würde während des Gesprächs das Gefühl nicht los, seinen Gastgeber den Gästen wegzunehmen. Doch es sind ausschließlich eigene Gedanken und Wertungen, die der Gast auf den Gastgeber projeziert: „Ein Gastgeber muß sich um seine Gäste kümmern. Ich als Gast darf einen Gastgeberf nicht von diesen Pflichten abhalten. Wenn ich das tue, handele ich falsch.“  Doch diese eigenen Probleme benennt der Gast nicht. Stattdessen spricht er für den Gastgeber: „Du mußt dich...“

Wie also wäre die Kommunikation authentisch verlaufen?
Gastgeber: „Natürlich kann ich mich mit dir zurückziehen.“
Gast: „Aber ich kriege Probleme, wenn wir beiden uns zurückziehen. Ich hätte die ganze Zeit das ungute Gefühl, dass ich dich den anderen Gästen wegnehme. Ich könnte mich nicht richtig auf das Gespräch konzentrieren.“
Gastgeber: „Aber das ist doch quatsch. Die verstehen das.“
Gast: „Das mag sein. Aber ich hätte trotzdem ein ungutes Gefühl dabei . Bitte versteh´ das. Heute abend geht bei mir nichts mehr. Ich kenne mich – ich komme da leider nicht mehr raus.“
Eine Rückkehr in die authentische Kommunikation ist jederzeit möglich. Und wenn der Gast auf diesem schmalen Pfad der Authentizität weitergeht, hat er gute Chancen, den Konflikt kooperativ und ohne weitere Verletzungen des Gastgebers durchzustehen.
Gastgeber: „Nicht mehr raus...! Mein Gott, was ist los mit dir? Früher warst du doch auch nicht so. Komm, laß uns einen Wein trinken.“
Gast: „Tut mir leid, es geht wirklich nicht. Ich bin nicht mehr in der Stimmung. Bitte respektiere meinen Wunsch. Ich möchte dich gerne in Ruhe sprechen, aber ich kann es heute Abend nicht mehr. Ich würde dich morgen gerne anrufen und einen Termin verabreden.“
Gastgeber: „Einen kleinen Wein wenigstens.“
Gast: „Bitte verstehe mich. Es geht nicht.“
Gastgeber: „O.K.  – aber ruf mich an, ja?“
Bei diesem letzten Beispiel können Sie gut beobachten, wie der Gast bei sich selbst geblieben ist. Er hat sich nicht mehr beirren und beeinflussen lassen von der Hartnäckigkeit des Gastgebers und hat seinerseits auf der Authentizität und Berechtigung seiner momentanen Gefühle und Bedürfnisse beharrt. Der Gastgeber konnte nicht anders, als die Wünsche des Gastes zu respektieren und diesen schließlich schweren Herzens gehen zu lassen.

Projektionen in Konflikten kommen in unserem beruflichen und privaten Alltag viel häufiger vor, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wir möchten ein paar Beispiele anführen, ohne sie näher auszuführen:
Lehrer: „Sandra, setz´ dich bitte gerade hin. Du kannst dich so nicht konzentrieren.“
Sandra: „Aber ich kann mich konzentrieren. Ich passe die ganze Zeit auf.“
Warum sagt der Lehrer Sandra nicht, dass er sich selbst nicht auf den Unterricht konzentrieren kann, wenn eine Schülerin sich vor ihn hinflezt?

Vater: „Peter, mach deine Musik leiser. So kann man doch keine Hausaufgaben machen.“
Peter: „Ich mache meine Hausaufgaben immer mit Musik und sie sind immer richtig.“
Warum sagt der Vater zu seinem Sohn nicht, dass er Angst hat, sein Sohn könnte durch die Musik abgelenkt werden und deswegen schlechte Noten für seine Hausaufgaben bekommen?
Oder ist der Vater nur selbst genervt durch die laute Musik?

Chef: „Herr Maier. Bitte strukturieren Sie doch einmal Ihr Büro durch. So finden Sie doch nichts wieder."
Maier: „Entschuldigung, Herr Direktor. Aber nennen Sie mir einen Vorgang, den ich raussuchen soll, und ich habe ihn innerhalb von 10 Sekunden griffbereit.“
Warum sagt der Chef seinem Angestellten nicht, daß er selbst eine andere Vorstellung von Struktur hat und er deshalb fürchtet, dass die abweichende Struktur seines Angestellten auf Kosten der Effizienz gehen könnte?
Oder hat er Angst davor, was andere Personen über den Zustand des Büros seines Sekretärs denken könnten?

Projektionen nehmen wir immer dann vor, wenn wir uns unserer eigenen Gefühle in einem Konflikt nicht bewußt sind, oder diese nicht nennen wollen – aus Angst, die Äußerung eigener Gefühle könnte als Schwäche ausgelegt werden und daher verletzbar machen.

Das Wesensmerkmal von Projektionen ist, dass sie die Konfliktpartner entmündigen und indirekt herabsetzen. Dadurch beinhalten diese Projektionen ein gewisses Maß an Verletzungspotential. Das Gegenüber wird genötigt, sich aus einer Opferhaltung heraus zu rechtfertigen oder gar durch einen Gegenangriff zu verteidigen, um die entmündigende Herabstufung zu kompensieren.

Dritte Klippe: Gegenangriff

Kehren wir noch einmal zu dem Partyspiel zurück. Der Gast bleibt authentisch. Doch der Gastgeber empfindet die Authentizität als verletzend und reagiert mit einem Angriff:
Gastgeber: „Nicht mehr offen...! Mein Gott, was ist los mit dir? Du bist ganz schön empfindlich. Aber du hast immer schon deinen Kopf durchgesetzt, egal was die anderen wollten. Rücksicht ist ein Fremdwort für dich!“
Gast: „Nun hör doch auf. Wenn du nicht akzeptieren kannst, dass ich gehen möchte, ist das dein Problem. Egal was ich sage, du nimmst es persönlich und fühlst dich angepinkelt. Das war auch schon immer so, solange ich dich kenne.“
 
Päng! Da ist sie zugeschnappt, die Falle des Kampfes. Ein Wort gibt das andere. Die beiden Freunde befinden sich in einem verbalen Schlagabtausch. Der Gastgeber fühlt sich durch den angekündigten Abschied seines ehemaligen Freunde verletzt und reagiert mit einem Angriff. Oder sollten wir sagen: Der Gastgeber fühlt sich verletzt und reagiert auf die empfundene Verletzung mit einem Gegenangriff?  Aus dem ersten Hauptteil des Buches wissen wir, dass die Frage des Erstschlages nicht objektiv beantwortbar ist. Subjektiv wird der Gastgeber für sich in Anspruch nehmen, sich durch den plötzlichen Abschied des Gastes verletzt zu fühlen und auf diesen Angriff des Gastes mit einem Gegenangriff zu kontern.
Und der Gast? Auch der wird von sich behaupten, mit seinem Gegenangriff lediglich auf das verletzende Verhaltens des Gastgebers reagiert zu haben. Und da unsere Gewohnheit, einen Angriff mit einem Gegenangriff zu parieren, tief verwurzelt ist in unserem Verhaltens, ist diese 3. Klippe der nicht-authentischen Kommunikation im Konflikt gleichzeitig diejenige, an der wir am häufigsten kentern.
An Beispiel dieses Dialogs zeigt sich erneut, warum wir das Buch betitelt haben: „Angriff ist die schlechteste Verteidigung“:  Der Gast läßt sich vom Gastgeber zu einem Kampf verleiten. In dem Konflikt vollzieht sich ein Wechsel von der Kooperation hin zur Konfrontation: „Der Kampf beginnt nicht mit dem Angriff, sondern der Verteidigung.“ ( Sofsky ) Mit anderen Worten: Der Gast mit seinem Wechsel von der Kooperation hin zum Gegenangriff läutet den Kampf ein.

Wie aber hätte der Gast kooperativ bleiben können, angesichts eines derartigen Angriffs seitens des Gastgebers?
Gastgeber: „Nicht mehr offen...! Mein Gott, was ist los mit dir? Du bist ganz schön empfindlich. Aber du hast immer schon deinen Kopf durchgesetzt, egal was die anderen wollten. Rücksicht ist ein Fremdwort für dich!“
Gast: „Glaub mir: Ich habe dir meine Gründe genannt. Ich bitte dich einfach nur darum, meine Gefühle und Gründe zu akzeptieren. Ich bin nicht mehr in der Stimmung, möchte dich aber in den nächsten Tagen gerne wiedersehen.“
Gastgeber: „Du kannst auch direkt sagen, dass dir meine Gäste nicht gefallen!“
Gast: „Das ist es nicht. Ich war auf ein Wiedersehen mit dir fixiert und deshalb überhaupt nicht offen für andere Gäste. Das hat nichts damit zu tun, dass ich deine Gäste nicht mag, sondern dass ich auf andere Menschen nicht zugehen konnte.“
Gastgeber: „Das glaube ich dir nicht. Das sind doch nur Ausreden. Du bist zu feige, es offen zu sagen!“
Gast: „Ich kann dir nur das sagen, was ich empfinde. Mehr kann ich nicht tun. Es tut mir leid, wenn es bei dir anders ankommt. Aber das sind nun einmal meine Gründe. Es sind keine Ausreden. Und ich bitte dich, sie zu verstehen und zu respektieren.“

Trotz wiederholter Angriffe seitens des Gastgebers hat sich der Gast nicht zu Gegenangriffen verleiten lassen. Er ist streng bei seinen eigentlichen Gründen geblieben und hat die Angriffe des Gastgebers ignoriert. Er hat versucht, offensichtliche Mißverständnisse oder Unterstellungen durch nochmalige Erklärungen aus dem Weg zu räumen, ohne sich auf die Ebene des Kampfes einzulassen. Der Gast ist bis zum Schluß dieses Dialoges authentisch geblieben.

Wir alle wissen, dass die Gewohnheit, einen Angriff mit einem Gegenangriff zu beantworten, so tief verwurzelt ist in unserem Verhalten, dass sie schon fast reflexhaft erfolgt. Die Befreiung von diesem Automatismus erfordert Bewußtheit und vor allem Training.

Bleiben Sie bei sich selbst – bei Ihren Emotionen, Gedanken und Bedürfnissen – und lassen Sie sich auch durch Angriffe nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Ihr Partner wird es bald müde, Sie anzugreifen. Der Weg zum gemeinsamen kooperativen Vorgehen ist dann geebnet.

Seminarteilnehmer sind oft erstaunt über die Stärke und Kraft, die ein Mensch plötzlich ausstrahlt, wenn er von den eigenen authentischen Gefühlen spricht oder seine Bedürfnisse und Wünsche äußert, ohne dabei weder sich noch andere herabzusetzen oder zu manipulieren. Die Ursache liegt in unserer Präsenz, die wir entwickeln, wenn wir Wünsche bzw. Bedürfnisse formulieren, von deren Legitimität wir zutiefst überzeugt sind. Und das Geheimnis der „gewinnenden“ Ausstrahlung liegt darin begründet, dass wir unsere Konfliktpartner nicht besiegen möchten. Der Satz „Urteile nicht, damit du nicht verurteilt werdest“  gelangt hier zu einer ganz praktischen Bedeutung. Denn wir können nicht davon ausgehen, dass andere unsere Wünsche erfüllen, wenn wir Ihnen vermitteln, dass sie etwas falsch machen. Und wenn sie dennoch gemäß unserer Wünsche handeln, dann nicht aus einem Gefühl der Selbstverantwortung heraus, sondern aufgrund von Angst oder Schuldgefühlen.

Was uns andere auf der Basis von Schuldgefühlen oder Angst geben, sind Leihgaben - Geschenke wie an Gummibändern, die uns sofort wieder entzogen werden, wenn wir die Kontrolle nicht mehr aufrecht erhalten. Denn Schuld und Angst sind Gefühle auf Zeit. Sobald sie verblassen, müssen sie durch erneuten Druck intensiviert werden. Nicht nur die beschuldigte und beängstigte Person gerät unter Druck, sondern auch die Person, die diesen Druck des schlechten Gewissens ständig kontrollieren und erneuern muß.

Offene oder versteckte Du-Botschaften folgen dem Schema: Du weil Du ( „Du bist blöd, weil du immer zu spät kommst!“ ) oder Ich weil Du (  „Ich bin sauer, weil du zu spät kommst!“ )  Die Verantwortung für das eigene Denken, Fühlen und Handeln werden teilweise oder ganz an die andere Konfliktpartei delegiert. Diese Vorgehensweise ist ohnmächtig. Sie schwächt die eigene Position und stärkt die des Konfliktpartners.

Authentische Ich-Botschaften folgen dem Schema: Ich weil Ich ( „Ich bin sauer, weil ich mich total beeilt habe und jetzt 20 Minuten gewartet habe.“ )  Die agierende Person übernimmt die volle Verantwortung für ihr Denken, Fühlen und Handeln, ohne die andere am Konflikt beteiligte Person herabzustufen oder zu verletzen.

Die folgenden Beispiele aus fiktiven Dialogen stellen beispielhaft versteckte Du-Botschaften und authentische Ich-Botschaften gegenüber. Bitte versetzen Sie sich in die Situation der angesprochenen Person und beurteilen Sie selbst, bei welcher Botschaft Ihr Grad der Verletzung höher wäre, und wann Sie eher bereits wären, Ihr Verhalten zu verändern:

Ein Kunstlehrer übergibt den Kunstraum an die nachfolgende Lehrerin in einem schmutzigen und unaufgeräumten Zustand.

Die Lehrerin sagt zu dem Kollegen:
„Ich fühle mich von dir übergangen, weil du mir die Klasse in einem solchen Zustand übergibst.“
Oder
„Du hattest den letzten Unterricht vor meiner 6. Stunde in dem Kunstraum. Die Klasse war nicht aufgeräumt. Ich ärgere mich, weil ich Ordnung brauche, um meine Stunde zu beginnen. Und mir fehlt die Zeit, die ich für das Aufräumen vor der Stunde benötige, in meinem Unterricht.“

Ein Teammitglied hält sich bei der Arbeitsaufteilung zurück und lässt die anderen arbeiten.

Eine Kollegin sagt zu dem Teammitglied:
„Ich ärgere mich, weil du egoistisch bist und mich für dich arbeiten läßt.“
Oder:
„Ich bin genervt, weil ich zur Zeit viel Streß habe und deswegen eine gleichberechtigte Arbeitsteilung brauche.“

Ein junger Mitarbeiter bekommt keinen Kontakt zu den älteren Kolleginnen.

Er sagt zu einer dieser Kolleginnen:
„Ich bin traurig, weil ihr mir keine Chance gebt, rein zu kommen.“
oder:
„Ich bin frustriert, weil ich einen besseren Kontakt zu euch möchte. Ich habe das Gefühl, nicht integriert zu sein und leide unter dieser Situation.“

Ein Chef begrüßt einen Mitarbeiter morgens nicht.

Der Mitarbeiter spricht seinen Chef darauf an:
 „Ich bin verwirrt, weil Sie mich ständig übersehen und nicht grüßen.“
Oder:
„Ich bin irritiert, weil ich morgens einen kurzen Kontakt und Gruß benötige, um gut arbeiten zu können. Ich frage mich dann, ob Sie etwas gegen mich haben und bin verunsichert.“

Authentisches Senden eigener Emotionen, Gedanken, Bedürfnisse und Wünsche setzt voraus, sich offen und ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Nur wenn wir bereit sind, die volle Verantwortung für uns selbst zu übernehmen, können wir zur Authentizität gelangen. Nur wenn wir authentisch sind, verzichten wir auf Schuldzuweisungen und Verletzungen und können kooperatives Konfliktverhalten praktizieren.

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